: Doofsein ist nicht die Frage
Wenn Hochschulen ihre Studierenden aussuchen, geht es mehr um Persönlichkeit als um IQ, meint Konrad Schily von der Privatuni Witten. Wer auf die Auswahl verzichtet, vergibt eine Riesenchance
Interview CHRISTIAN FÜLLER
taz: Die Unis hatten diesen Sommer erstmals die Chance, sich einen Teil ihrer Studenten auszusuchen. Kaum eine Hochschule aber hat solche Auswahlgespräche durchgeführt. Was ist da los, Herr Schily?
Konrad Schily: Das zeigt, dass die Hochschulen unreif sind. Sie handeln nicht selbständig. Sich die Studenten selbst auswählen zu können, das wäre eine Riesenchance für die Unis. Die muss man einfach ergreifen.
Warum? Was nützt es den Unis, wenn sie ihre Studenten auswählen können?
Wenn Sie Hochschulen als Unternehmen betrachten, dann sind die Studierenden die wichtigste Investition für sie. Ein Unternehmen lebt von seinen Menschen. Kein Schuhmacher ließe sich seine Auszubildenden von außen vor die Nase setzen. Unsere Unis machen das seit 30 Jahren, seit ein bürokratisches Monster namens „Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen“ den Hochschulen ihre neuen Studenten zuweist.
Ich wüsste es gerne genauer: Was bringt es den Unis?
Alles. Die Studierenden machen die Zukunft der Universität aus. Sie sind die Botschafter ihrer Alma Mater. Später binden sie sich als Alumnis, also als Förderer und Freunde, an die Hochschule. Diese gemeinsame Geschichte beginnt mit der Studentenauswahl.
Und die ängstlichen Bewerber dürfen zusehen, wie sie herausgepickt werden?
Nein, auch sie müssen sich entscheiden: ganz bewusst für den Ort ihrer akademischen Ausbildung. Das ist etwas ganz anderes, als wenn sie aufgrund irgendwelcher Wartepunkte darauf hoffen, dass ein Studienplatz vom Himmel fällt. Irgendwo im Land.
Die Uni-Kanzler meinen, für die Auslese von nur 20 Prozent ihrer Studierenden sei der Aufwand von Interviews zu groß.
Das verstehe ich. Die wollen nicht das Feigenblatt für das planwirtschaftliche deutsche System der Studentendistribution spielen. Trotzdem ist mir das zu taktisch gedacht. Wenn ich bei einer staatlichen Uni wäre, würde ich sagen: Wir nehmen jetzt ein Fünftel nach unseren Kriterien auf – und fordern mehr.
Wie könnte man die Unis auf den Trichter bringen?
Es gibt eine Hilfskonstruktion: Die Universitäten sollen sich ihre Studenten im Prinzip auswählen dürfen. Man muss sich also Gedanken darüber machen, was mit denen passiert, die bei den Interviews durchfallen. Ich würde solche Leute aufnehmen. Wichtig für die Hochschulen wäre nur: Erst wird ausgewählt, dann der Rest verteilt. Nicht umgekehrt.
Ach, Sie würden auch den „doofen Rest“ nehmen?
Doofsein ist nicht die Frage. Unter den Durchgefallenen kann man Einsteins finden. Wir wissen ja gar nicht, ob wir die mit unseren Mitteln des Auswahlgesprächs zuverlässig herausfischen. Was wir herausfinden wollen, ist, ob jemand Persönlichkeit mitbringt. Uns geht es selbstverständlich auch um kognitive Fähigkeiten, Intelligenz etwa. Das Wesentliche aber ist, ob ein Bewerber wirklich studieren will – oder ob er lieber weiter zur Schule gehen möchte.
Wer wählt in Witten/Herdecke die Studierenden aus?
Jede Fakultät handhabt die Interviews anders. In der Medizin trifft man in Herdecke acht Personen, in der Wirtschaftswissenschaft gibt es Dreiergruppen. Später sitzen Interviewer und Bewerber noch mal zusammen – in einer überraschenden Gesprächssituation, die auch den Interviewern unbekannt ist. Die müssen dann zusammen ein Spiel spielen.
Spielen denn da Ihre Studenten auch mit – auf der Seite, die auswählt?
In den Wirtschafts- und in den Naturwissenschaften, auch in der Zahnmedizin wählen die Studenten mit aus. Bei den Medizinern sind es Absolventen. Das ist normal. Das Besondere ist, dass bei den Interviewern außeruniversitäre Leute dabei sind. Wir nennen sie Freunde: Sie könnten als Journalist an einer Auswahl künftiger Medizinstudierender teilnehmen. Nicht um darüber zu schreiben, sondern um mit zu entschieden.
Vielleicht verstehe ich gar nichts von Medizin?
Sie können sich aber ein Bild von dem Menschen machen. Ob sie Vertrauen haben, ob sie von dem gerne behandelt werden würden. Das sind wichtige Hinweise. Unsere Freunde haben große Entdeckungen gemacht.
Gibt es auch Reinfälle?
Na klar. Manchmal glaubt man ein Genie vor sich zu haben, dabei sitzt da nur ein Spinner. Unsere Art des Auswählens ist insgesamt nicht fehlerfrei. Aber wir haben nur 2 Prozent Studienabbrecher. An staatlichen Unis liegt diese Zahl bei bis zu 50 Prozent. Wir finden diejenigen heraus, die es wirklich wollen. Und nehmen wenig Leute aus dem unteren Drittel auf. Ob wir auch die Spitze identifizieren, das obere Drittel, das wissen wir leider nicht. Denn die nicht Ausgewählten sehen wir ja nicht mehr.
Es gibt Kritiker, die Ihnen Elitenbildung vorwerfen.
Wenn mir einer auf dem Campus sagen würde, er fühle sich als Elitestudent, dann würde ich sagen: Du gehörst hier nicht her. Aber natürlich sind hier Ausgewählte und insofern eine Elite. Was wir fördern wollen, ist, dass die Leute bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Selbst ein solcher Begriff von Elite ist in Deutschland wegen des elitären Ungeists der Nazizeit immer noch in Verruf. Dabei ist es doch nicht schlimm, wenn jemand gut ist. Wir haben zwei Wochen lang jeden Tag nach Australien zur Olympiade geguckt – und waren auf die Besten gespannt.
Dabei sein ist alles, heißt das wahre olympische Motto. Ist es in Witten nicht ähnlich zweischneidig? Unter dem schönen Schein der ganzheitlichen Anthroposophie findet knallharte Auslese statt.
Wir sind keine Waldorf-Hochschule. Weder die Bewerber noch die Auswählenden sind Anthroposophen. Dass wir als Universität ein bisschen vollständiger sein wollen als gewöhnlich, steht auf einem anderen Blatt. Bei uns gehören auch Homöopathie und chinesische Medizin zum Programm. Wenn jemand technische Medizin studieren will, versucht er ohnehin nach Berkeley oder Stanford zu kommen. Die wählen sehr genau aus. Das macht ihren Ruf aus. Uns geht es genauso. Ohne die Studentenauswahl wären wir in so kurzer Zeit nicht so weit gekommen.
Zitat;Konrad Schily: „Manchmal glaubt man im Interview ein Genie vor sich zu haben, dabei sitzt da nur ein Spinner.“
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