Ideale Arbeitszeiten

Der Europäische Gerichtshof entscheidet: Ärztliche Bereitschaftsdienste sind keine Vergnügungsstunden. Sie müssen als Arbeitszeit gerechnet werden

FREIBURG taz ■ Ärztliche Mammutschichten im Krankenhaus dürften bald der Vergangenheit angehören. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat gestern entschieden, dass ärztlicher „Bereitschaftsdienst“ voll auf die maximale Wochenarbeitszeit anzurechnen ist. Das Urteil betrifft zwar einen Fall aus Spanien, ist aber europaweit unmittelbar anwendbar.

Geklagt hatte eine Gruppe von Ärzten, die in öffentlichen Gesundheitszentren der Region Valencia arbeitet. Sie müssen regelmäßig Schichten von bis zu 31 Stunden am Stück absolvieren. Im Anschluss an den gewöhnlichen Arbeitstag ist nämlich noch Bereitschaftsdienst zu leisten, der bis zum Beginn des nächsten Arbeitstages dauert. Auf die wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche wurde dieser Bereitschaftsdienst nicht angerechnet. Ein spanisches Gericht legte dem EuGH den Fall zur Prüfung vor.

Das EU-Gericht urteilte nun, dass der Bereitschaftsdienst dann in die Berechnung der Gesamtarbeitszeit einzubeziehen ist, wenn die Ärzte hierbei in ihrer Einrichtung bleiben müssen. Im Falle einer Rufbereitschaft, bei der die Ärzte nur telefonisch erreichbar sein müssen, liege dagegen (außerhalb der Einsätze) noch keine „Arbeitszeit“ vor.

Da die EU-Arbeitszeit-Richtlinie von 1989 nur eine Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche erlaubt, werden die spanischen Gesundheitszentren ihre Dienstpläne künftig umstrukturieren müssen. „Auch in Deutschland wird dieses Urteil große Auswirkungen haben“, vermutet Marius Schrömbgen, Rechtsanwalt bei der Waldbronner Unternehmensberatung Orgacom, die auf die Organisation von Rettungsdiensten spezialisiert ist. Wie bei Klinikärzten sind auch bei Rettungssanitätern lange Bereitschaftsdienste üblich.

Bisher wurde in Spanien und Deutschland die überhöhte Wochenarbeitszeit für Ärzte und Sanitäter mit tarifvertraglichen Regelungen gerechtfertigt. Das ist künftig nicht mehr möglich. Der EuGH stellte klar, dass die 48-Stunden-Grenze nur per individuellem Vertrag außer Kraft gesetzt werden kann. Die EU-Richtlinie schreibt außerdem vor, dass keinem Arbeitnehmer „Nachteile“ daraus entstehen dürfen, dass er nicht bereit ist, mehr als 48 Stunden pro Woche zu arbeiten.

Auf die Vergütung von Bereitschaftsdiensten hat das EuGH-Urteil keine Auswirkungen. Diese können auch weiterhin geringer bezahlt werden als die normale Arbeitszeit. (Az. C-303/98)

CHRISTIAN RATH