Schauriges Entsetzen ohne Atempause

■ Böswilligkeit und Leid gnadenlos und ohne jeglichen Kommentar vorgeführt: Jan Lauwers inszeniert Shakespeares King Lear am Deutschen Schauspielhaus

Seit dem tridentinischen Konzil sucht die katholische Kirche für ihre Gegenreformation die passende neue Politik. Das renaissanceerleuchtete Italien beschleunigt und verunsichert die bildenden Künstler und Literaten. Angst bedeutet in der zweiten Hälfte des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts die Freiheit, neue künstlerische Möglichkeiten zu entdecken.

Es ist der Zeitraum, in dem der Spanier Miguel de Cervantes den ersten Teil des Don Quichote schreibt. William Shakespeare nimmt gleichzeitig wegen der puritanischen Anfeindungen gegen sein Theater Abschied von der Welt, in der er bisher Erfolge feiern konnte. Mehr als zehn Jahre als petrarcistischer Sonett-Dichter, anerkannter Schauspieler und Dramatiker liegen zu diesem Zeitpunkt hinter ihm.

Auf dem Thron von Elizabeth der Ersten, Shakespeares großer Fördererin, sitzt nach deren Tod Jakob der Erste. Für ihn verfasst Shakespeare die Tragödien Macbeth und Othello. Dann folgt, wieder unter Zuhilfenahme der Werke des Geschichtsschreibers Raphael Holinshed, King Lear. Der Regisseur Jan Lauwers, der das Stück jetzt für das Deutsche Schauspielhaus inszeniert hat, sagt darüber: „Es ist zu groß für die Bühne, es ist kein Theater und es will zu viel auf einmal ausdrücken.“

Lear möchte sein Reich unter den Töchtern Regan, Goneril und Cordelia aufteilen. Um seine Entscheidung zu treffen, fordert er von jeder eine töchterliche Liebeserklärung. Die für Lear zu unenthusias-tisch ausgefallene Rede Cordelias setzt die Handlung in Gang.

Lear enterbt Cordelia. Er entscheidet sich in der Folge für Verzweiflung und Wahnsinn, etwa so, wie sich der viel früher entstandene Richard der Dritte für das Böse entschieden hatte. Regan und Goneril werden für Edmund, den unehelichen Sohn des Grafen Gloster, zur Ehebrecherin. Um Edmund für sich zu haben, vergiftet die eine die andere, die Mörderin legt Hand an sich. Cordelia hat sich mit dem König von Frankreich verbunden und zieht mit dessen Truppen gegen England. Edmund aber besiegt die französiche Armee und nimmt Cordelia und ihren Vater gefangen.

Der Widerruf von Edmunds Befehl, Cordelia zu richten, trifft allerdings zu spät ein. Lear trägt seine tote Tochter auf den Armen, bevor er schließlich selber stirbt.

Ein Unbehagen in der Kultur steckt in diesem Stück und drängt aus ihm heraus. Lauwers gibt seine Interpretation: „King Lear gibt keine Antworten, er zeigt Böswilligkeit, Leid. Ohne Kommentar.“ Das Entsetzen wird denn auch bis zum letzten schaurigen Satz durchgehalten, der heute allerdings fast so wirkt, als hätte jemand zu lange den Schilderungen eines Veteranen des Zweiten Weltkrieges zugehört: „Wir Jüngeren werden nie so viel erleben.“ Kristof Schreuf

Premiere: Mittwoch, 20 Uhr, Schauspielhaus. Weitere Vorstellungen: Donnerstag, Freitag, jeweils 20 Uhr.