„In höchstem Maße albern“

Neue taz-Serie: Die Nebenbänkler. Co-Trainer sind, obwohl meist mäßig bekannt, die Konstanten der Bundesliga. Teil 1: Juri Schlünz, der bei Hansa Rostock in vier Jahren vier Cheftrainer erlebt hat

aus Rostock MATTHIAS WOLF

Unruhig wippte Juri Schlünz von einem Fuß auf den anderen. Er fühlte sich unwohl. Ein Fernsehsender hatte ihn zum Interview gebeten, nach dem 0:0 des FC Hansa Rostock gegen Freiburg. „Muss das denn sein?“, hat Schlünz gefragt. Die Fernsehleute nickten. Die Nation wolle doch den Mann kennen lernen, der nach der Beurlaubung des glücklosen Trainers Andreas Zachhuber den freien Fall der Rostocker gestoppt hatte. Es war das einzige Mal, dass Schlünz ausführlich vor einer Kamera sprach. Demonstrativ sagte er Sätze wie „Ich nehme mich nicht so wichtig“ und „Ich möchte nicht in der Öffentlichkeit stehen“.

Eine Woche später siegte Hansa 2:1 in Leverkusen, erneut war Schlünz Interimstrainer. Doch alle Mikrofone waren bereits auf Nachfolger Friedhelm Funkel gerichtet, der auf der Tribüne saß. Schlünz nahm das erleichtert zur Kenntnis. Noch heute findet er das damalige Medieninteresse an seiner Person „in höchstem Maße albern“. Fußball sei rundum Teamarbeit, „aber alle stürzen sich nur auf den Cheftrainer. Das ist für mich blanker Unsinn.“

So redet einer, der sich ein wenig ärgert über das weit verbreitete Bild seines Jobs: Der Chef stellt das siegreiche Ensemble auf, der Assistent die Hütchen beim Training.

Bei Schlünz widerspricht bereits die fachliche Qualifikation dem Klischee. Der Assistenztrainer mit Abitur und Deutsch-Studium bildete sich früh zum Diplomsportlehrer weiter – während seiner Zeit als Mittelfeldspieler. Vor drei Jahren kam der Schein als Fußballlehrer dazu. Der 39-Jährige erstellt Trainingspläne, beobachtet Gegner und Spieler, trainiert die Torhüter, koordiniert die Kontakte zwischen Profis und Amateuren. Verantwortungssuche? Juri Schlünz, so stand einmal zu lesen, sei nur nach dem Astronauten Juri Gagarin benannt, der in Schlünz’ Geburtsjahr 1961 als erster Mensch die Erde umkreiste; dessen Drang nach großen Taten aber besitze er nicht.

„Juri ist ein Top-Trainer. Er wäre für uns keine Notlösung“, hat Eckhardt Rehberg gesagt, Hansas Präsident. Doch Schlünz hat es abgelehnt, Cheftrainer zu werden bei dem Klub, für den er vom 7. bis zum 32. Lebensjahr gespielt hat. 230 Spiele in der DDR-Oberliga, 6 Jahre als Kapitän, fast 80 in 1. und 2. Bundesliga. Der FC Hansa war und ist sein Leben.

Bei den Spielern erfreut sich Schlünz großer Beliebtheit. Weil er immer ein offenes Ohr hat für ihre Sorgen. Martin Pieckenhagen schwärmt vom „professionellen Training“ und „seiner liebenswerten Art“. Denn Schlünz, der bisweilen unterkühlt, fast spröde wirkt, sei in Wirklichkeit ein Freudenspender. „Mit ihm zu arbeiten macht riesigen Spaß“, sagt der Torhüter. Respekt scheint Schlünz zu genügen. Vielleicht, weil der gebürtige Ostberliner ein wacher Geist ist und zu schätzen gelernt hat, was wirklich wichtig ist im Leben. Schon als Spieler hatte er stets ein Buch in der Sporttasche. „Wir DDR-Bürger waren ja ein Lesevolk“, sagt er und lächelt. In seinem Haus draußen in Satow hat er sich eine Bibliothek eingerichtet. „Wenn mir alles auf den Keks geht, jogge oder lese ich.“ Zumeist Biografien, Zeitgeschichtliches, auch Simmel. Fußball ist so einfach und doch oft so grausam mit Problemen behaftet; Schlünz lässt das oft zweifeln: „Das Geschäft wird immer hektischer und oberflächlicher. Es gibt nur noch zwei Pole: Oben oder unten.“

Seit vier Jahren ist Schlünz zweiter Mann. Er erlebte die Chefs Pagelsdorf, Lienen, Zachhuber und dient jetzt unter Funkel. „Ich wäre ja gerne Cheftrainer“, sagt er, „aber ich will nicht abhängig davon sein, ob ein Stürmer aus drei Metern das Tor trifft – oder nur den Pfosten.“ In der Bundesliga können Millimeter den Job kosten. Das hat Schlünz jüngst bei seinem Freund Andreas Zachhuber wieder erfahren müssen. „Immer wird der Cheftrainer rasiert. Das ist nicht meine Welt.“

Juri Schlünz (Vertrag als Co-Trainer bis Juni 2001) will einen anderen Weg einschlagen. Auf Dauer wolle er im Jugendbereich arbeiten. Nicht, weil er Angst vor großen Namen habe („Stars sind keine Stars, die werden nur von der Presse zu Stars gemacht“), sondern weil er die Talente formen möchte für die Liga. An professioneller Jugendarbeit hat auch Hansa Nachholbedarf.

„Wissen Sie“, sagt Juri Schlünz, „ich freue mich, wenn ein junger Spieler den Durchbruch schafft und ich habe ihm ein bisschen dabei geholfen.“ Und fügt hinzu: „Das bedeutet mir mehr, als wenn mir vor der Fernsehkamera alle auf die Schulter klopfen.“