Perspektive, verzweifelt gesucht

Der Kindergarten leerer als sonst, die Zukunft wird im Ausland geplant: Die Jüdische Gemeinde wartet auf ein Signal, das ihr zeigt, warum sie bleiben soll

aus Düsseldorf ANNETTE KANIS

„Wir wünschen allen Frieden und Gesundheit“ – den Gruß zu Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest, haben die Kinder aus Tonpapier gebastelt. Mit einer großen Friedenstaube hängt er an der Wand des Kindergartens der Jüdischen Gemeinde in Düsseldorf. Heute, drei Tage nach Rosch Haschana, gehen die Kinder durch eine Glastür mit schwarzen Brandspuren und fragen nach „der Bombe“ und „der Explosion“.

Die Erzieherinnen versuchen Normalität zu vermitteln. Einen Tag nachdem zwei Molotowcocktails auf die Eingangstür der Gemeinde geworfen wurden, bleibt das schwierig. Fast ein Drittel der sonst sechzig Kinder fehlt heute – die Eltern haben Angst. Und mit all denen, die am Morgen ihr Kind vorbeigebracht haben, hat die Kindergartenleiterin persönlich gesprochen – über die neu geplanten Sicherheitsmaßnahmen, über die Mauer um den Spielplatz, die niedrig genug wäre, um einen Molotowcocktail hinüberzuwerfen, darüber, wie es nun weitergehen kann.

„Ich bin sehr beunruhigt“, sagt Michael Goldberger, der Gemeinderabbiner. Für ihn sind die nun von Gemeinde und Politik geforderten verstärkten Sicherheitsmaßnahmen längst nicht alles. „Wir reden über mehr Polizeischutz, noch eine feuerfeste Scheibe und Experten, die die Täter aufspüren sollen, aber dass allein gibt mir noch keine Perspektive, hier zu leben.“ Auch Rabbiner Goldberger sieht die Zeit für Fragen gekommen, wie sie der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, kurz nach dem Anschlag gestellt hatte. „Was muss und kann noch passieren, dass wir uns fragen, ob es richtig war, in Deutschland jüdisches Gemeindeleben wieder aufzubauen?“ Paul Spiegel wiederholte diese Frage nach einer Ortsbegehung mit Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundesinnenminister Otto Schily, NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement, NRW-Innenminister Fritz Behrens und Gemeindevertretern. Paul Spiegel, der selbst in Düsseldorf wohnt, betont, das Menschen jüdischen Glaubens weiterhin in Deutschland leben wollten, da sie Vertrauen in die Demokratie und die Menschen dieses Landes hätten. „Aber wir möchten hören, wissen, fühlen, dass die Bevölkerung solche Anschläge und ihren Hintergrund nicht will.“ Rabbiner Michael Goldberger sieht das größte Manko in der unzureichenden Erziehung Jugendlicher. Wissensvermittlung über den Holocaust reiche keineswegs. Vielmehr gehe es um die Vermittlung moralischer und ethischer Verhaltensweisen. „Ich habe Herrn Schröder aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass Führer aller Religionen sich zusammensetzen und Vorschläge machen, was künftig wichtig sein sollte in der Erziehungsarbeit.“

Glaubt man des Kanzlers Worten, so ist die Erziehung auch ihm wichtig im Kampf gegen den Rechtsextremismus. Oft schon strapaziert sind auch seine Forderungen nach mehr Härte von Polizei und Justiz sowie den sozialen Maßnahmen für so genannte Mitläufer. Vermeintlich neu ist seine Wortschöpfung „Aufstand der Anständigen“ – bislang hieß das Zivilcourage.

Der prominente Besuch wurde von der Jüdischen Gemeinde sehr positiv, als wichtiges politisches Signal aufgenommen. Nach dem Anschlag, sagt der Vorstandsvorsitzende Esra Cohn, würden sich viele fragen: „Sind wir hier in Deutschland richtig?“ Nicht aber Vorstandsmitglied Ruth Rubinstein. „Der Anschlag war schrecklich, aber er ist kein Grund für mich, die Koffer zu packen.“ Dennoch weiß sie zu berichten, dass schon seit einigen Jahren gerade jüngere Gemeindemitglieder die Zukunft verstärkt im englischsprachigen Ausland planten. Solch ein Anschlag könne dann diese Tendenz durchaus verstärken. „Gestern hat meine zukünftige Schwiegertochter zweifelnd gefragt, ob man sich wirklich eine Wohnung in Düsseldorf kaufen oder nicht besser ins Ausland gehen sollte.“

Auf den Stufen der Synagoge liegt ein Plakat mit der Aufschrift „Jeder Anschlag auf eine Synagoge ist rassistisch“. Daneben ein paar Blumen. Die Polizei hat das gesamte Gelände unter verstärkten Schutz gestellt. Die Ermittlungen hat – wie nach dem Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge im April – der Generalbundesanwalt übernommen.

Ministerpräsident Clement kündigte vor Ort an, dass die Belohnung für Hinweise auf die Täter von 10.000 auf 25.000 Mark erhöht werde. Die Leiterin des Kindergartens, die ihren Namen aus Angst nicht in der Zeitung sehen will, schlägt noch eine Belohnung vor: „Sie steht der jungen Frau zu, die die brennenden Molotowcocktails ausgetreten und somit größeren Schaden verhindert hat.“