Dr. Murksers Schweigen

taz enthüllt Geheimplan der SFB-Chefetage: In zehn Jahren zum perfekten Sender. Keine schlauen Wortbeiträge mehr, keine Musik, nur noch Stille. Jüngstes Beispiel: das Frauenmagazin „Zeitpunkte“

von UTE SCHEUB

Seit Jahren wird in der Hauptstadt darüber gemunkelt, was die Chefetage des Berliner Senders SFB eigentlich antreibt, immer exakt und punktgenau die erfolgreichsten Sendungen zu killen. Ist’s schiere Unfähigkeit? Oder sind die Intendanten, Wellenchefs und andere gut dotierten Wichtigmänner in Wahrheit perfekt getarnte Agenten des Privatfunks? Der taz zugespielte Geheimpapiere beweisen jetzt, dass es den Herren des SFB in Wahrheit um die Perfektion von Sendungen geht. „Nichts ist perfekter als die Stille“, lautet der Schlüsselsatz in den Dokumenten, die in einer unscheinbaren grauen Mappe bei der taz landeten.

Die Papiere enthalten einen undatierten Stufenplan, der in der Handschrift des früheren SFB-Indentanten Günther von Lojewski (CDU) verfasst wurde. „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, lautet die Überschrift. Darunter, in Anspielung auf Heinrich Bölls berühmte Kurzgeschichte über den Radio-Redakteur Dr. Murke, der herausgeschnittene Schweige-Sekunden sammelte: „Programm Murke: Alle erfolgreichen Sendungen mit äußerster Härte verfolgen. Alle Beat-Beiträge abschaffen. Alle Wort-Beiträge abschaffen. Stille.“

Der SFB der Siebziger- und Achtzigerjahre war in Westberlin Kult. Die Kinder hörten die Kindersendung, die Frauen und ihre Männer hörten „Zeitpunkte“, alle anderen hörten den SFBeat, der Rock mit Politik aufmischte und Politik mit Rock. Der Murke-Plan erklärt vieles, was bisher unerklärlich war: die Transformation einer Quasselanstalt in ein buddhistisches Zentrum der Stille und Einkehr. Alle Sendungen, alle Wellen, alles, was überhaupt noch nach außen dringt, ist unwichtig geworden. Wer heutzutage am Sendegebäude entlang schlendert, ist beeindruckt von der gewaltigen, geradezu bewusstlosen Ruhe, die der Sender ausstrahlt. Ende der Achtzigerjahre war es für Lojewksi & Co offenbar an der Zeit, Programm Murke Teil 1 und 2 in Kraft treten zu lassen. 1990 hatte der SFBeat seinen Abgang. „Nicht mehr zeitgemäß“, hieß es. Seinen Nachfolger, Radio 4 U, ereilte nach kurzer Zeit dasselbe Schicksal, weitere Maßnahmen folgten. Der Murke-Plan war ein voller Erfolg: Die einstmals beliebteste Berliner Welle SFB 2 fand 1994 im Westen nur noch vier Prozent HörerInnen und lag im Osten unter der Wahrnehmungsgrenze.

Nicht ganz so erfolgreich verlief jedoch die Abwicklung des mit Preisen bedachten und weit über Berlin hinaus bekannten frauenpolitischen Magazins „Zeitpunkte“. „Nicht mehr zeitgemäß“ und „zu wortlastig“, urteilten die Herren des SFB 1986, 1990, 1994, 1997 und 1999 über die täglich einstündige Sendung „aus Frauensicht“. Renitente Hörerinnen sorgten jedoch jedesmal für eine Weiterführung des Magazins – trotz massiver Verwirrstrategien durch mehrfachen Frequenzwechsel. Aber die Chefetage gibt nicht auf. In den letzten Tagen wurde erneut ruchbar, dass „Zeitpunkte“ abgeschafft werden soll. „Diesmal aber endgültig“, so eine deprimierte Mitarbeiterin. „Die Herren wollen es sich offenbar nicht noch mal nachsagen lassen, dass sie immer nachgeben würden.“ Programm Murke, Unterpunkt 3: „Apostel Paulus: Das Weib schweige in der Kirche.“ Amen.