Liberté toujours

Juristische Tricks der EU-Kommission bei Tabakwerbeverbot ziehen nicht

von CHRISTIAN RATH

Das EU-Tabakwerbeverbot, das im August nächsten Jahres in Kraft treten sollte, ist vorerst vom Tisch. Gestern entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, dass der EU die Kompetenz zu einer so weit reichenden Maßnahme fehlt. Geklagt hatten die deutsche Bundesregierung und einige englische Tabakfirmen.

Das allgemeine Werbeverbot war 1997 von EU-Ministerrat und Europäischem Parlament beschlossen worden. Es sollte für Tabak und für alle Produkte gelten, die das Label einer Tabakfirma tragen – wie zum Beispiel Davidoff-Parfüm und Camel-Boots. Nur zwei der 15 EU-Staaten, Deutschland und Österreich, stimmten dagegen. Schon von vornherein war allerdings umstritten, ob dieser Beschluss rechtmäßig war. Denn die EU-Verträge geben der Europäischen Union nämlich keine Kompetenz zum Erlass von gesundheitspolitischen Rechtsakten. Hier sollen weiterhin die Mitgliedsstaaten das letzte Wort haben.

Um aber dennoch ein Tabak-Werbeverbot beschließen zu können, gab man es als Maßnahme zur Beseitigung von Handelshemmnissen aus. Angeblich sollten Nachteile vermieden werden, die dadurch entstehen, dass manche EU-Staaten bereits ein nationales Tabakwerbeverbot eingeführt haben, andere aber nicht.

Diesen Trick wollte die damals noch CDU-geführte Bundesregierung nicht hinnehmen und klagte in Luxemburg. Im Hintergrund machten natürlich Tabakindustrie, Werbewirtschaft und Zeitungsverleger Druck. Immerhin werden allein in Deutschland rund 700 Millionen Mark jährlich für Tabakwerbung ausgegeben. Selbst nach dem rot-grünen Regierungswechsel wurde die Klage aufrechterhalten, auch wenn man den gestrigen Erfolg beim Europäischen Gerichtshof nun nicht gerade als Triumph feierte (siehe Interview).

Die Richter in Luxemburg entschieden, dass ein allgemeines Werbeverbot für Tabakwaren derzeit nicht in die Kompetenz der EU fällt. Zuvor hatten sie überprüft, in welchen Bereichen national unterschiedliche Regelungen tatsächlich zu Handelsbeschränkungen führen könnten. Sie kamen dabei zum Ergebnis, dass dies nur bei Druckerzeugnissen und beim Sponsoring der Fall sei, nicht aber bei der Kinowerbung, bei Plakattafeln und der Werbung in Hotels und Cafés (zum Beispiel auf Sonnenschirmen und Aschenbechern). Da in der Richtlinie die Bereiche nicht getrennt geregelt waren, musste sie zu Gänze für „nichtig“ erklärt werden.

Die EU hat nun drei Möglichkeiten, auf den Urteilsspruch zu reagieren. Zum einen könnte sie die bisherigen Anstrengungen als gescheitert ansehen und den Mitgliedsstaaten die Frage zur selbstständigen Regelung überlassen. Wenn sie allerdings auf ein allgemeines Werbeverbot Wert legt, müssten die europäischen Verträge geändert und der EU mehr Kompetenzen im Bereich des Gesundheitsschutzes eingeräumt werden. Bei den derzeitigen Verhandlungen zur Vertragsrevision, die beim EU-Gipfel in Nizza im Dezember abgeschlossen werden sollen, ist davon aber bisher nicht die Rede. Wahrscheinlicher ist daher, dass die Kommission Vorschläge für partielle Werbeverbote bezüglich Zeitschriften und Sponsoring vorlegt. EU-Gesundheitskommissar David Nyrne kündigte gestern einen entsprechenden Vorstoß bereits an.

Sprecher der Werbewirtschaft begrüßten das Urteil erwartungsgemäß. Der Gerichtshof habe der „Produktzensur“ dankenswerterweise die „rote Karte“ gezeigt. Die Branche hatte befürchtet, dass das Tabakwerbeverbot nur der Auftakt für ähnliche Beschränkungen bei der Werbung für Alkohol, Medikamente oder sogar Autos sein könnte.

Ein umfassender Sieg der Werbefirmen ist in der gestrigen Entscheidung allerdings nicht zu sehen. Mit dem Teil der Klage, in dem das Werbeverbot als grundrechtswidrig und unverhältnismäßig kritisiert worden war, hatte sich der EuGH gar nicht erst befasst.