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Crazy Horse statt Red Bull

■ Heute und morgen gibt es Pferde satt in der Bremer Stadthalle / Die „euroclassics“ präsentieren internationale Spitzenreiter und dolle Sydney-Olympia-Gewinnerinnen

Misstrauisch beäugt mich Tim Stockdale aus England, Nummer 76 der weltbesten SpringreiterInnen, als er mich dabei erwischt, wie ich in den improvisierten Stalllungen in Halle 1 seine Pflegerinnen nach ihren Gehältern ausquetsche. „Die Haarfarbe ist doch nicht echt, oder?“ Ich kann ihn beruhigen: „Nein, natürlich nicht.“ Dann wird es ernst. Ob ich mit meinem Blick hinter die Kulissen der „euroclassics“ etwa Skandale aufdecken wolle? Worauf er seine schönen Lederstiefel verwetten kann!

Alleine die Vehemenz mit der die minderjährigen Sicherheitskräfte mir und dem Fotografen den Einlass zu den Stallungen verwehren, inspiriert zu wilden Phantasien über das Treiben in der Sattelkammer: „Olympiasieger Ludger Beerbaum verliert beim Kartenpusten gegen sein Pferd!“ Presse ist ausdrücklich unerwünscht, wir dürfen nicht rein, auch nicht, wenn wir ganz leise sind und kein Pferd am Schweif ziehen.

Dafür wuseln Horden von Schulklassen am Gratis-„Familientag“ durch die Halle, immer dreißig lärmende Kröten auf einmal. Begleitet werden sie von Schülerinnen wie Christine Burow (16), die auf den Armen Autogramme von Reitern nach Hause trägt. Gut, dass sie keine Zehnjährigen an den Guide-Job ranlassen, die würden sich wahrscheinlich von ihren vierbeinigen Favoriten einen Hufabdruck auf den Hintern stanzen lassen.

Getarnt als pferdebegeisterte Zweitklässlerin schummel ich mich dann doch noch unter die Gäule. 270 Turnierpferde sind auf etwa 2800 Quadratmeter fein säuberlich in Fertigboxen verstaut und in jeder fünften „Stallgasse“ tummelt sich ein Jack Russell Terrier.

Und da ist auch endlich ein Skandal: Die überwiegend weiblichen PflegerInnen werden gemessen an Stundenzahl und Arbeitseinsatz mit einem Hungerlohn abgespeist. Sueanna Tickner und Louise Stoddart arbeiten für Mister Stockdale und kriegen im Schnitt 120 Pfund die Woche. Dafür sind sie heute Morgen um 4.30 Uhr in Northampton losgefahren, malochen den ganzen Tag und schlafen in einer kleinen Kabine im Transporter, damit sie auch nachts noch mal nach ihnen schauen können. Der Reiter fliegt und schläft im Hotel.

„It s a life, not a job“, sagt Sueanna. Eine andere Pflegerin aus England sagt, man müsse verrückt sein, um den Job zu machen. Eine Pflegerin des holländischen Dressurteams weiß noch nicht, wie viel sie an diesem Wochenende verdienen wird. Eveliene Olie springt nur ab und zu ein, da sie eine schulische Ausbildung absolviert für „Instructeure paarden ruden und verzorgen“. „PferdewirtIn“ heißt das in Deutschland und bedeutet, dass der Absprung vom Ponymädchen zum hormongesteuerten Teenager verpasst wurde.

Die Stadthalle ist noch bis Sonntagabend ein Paradies für alle, die sich ein Pferdegebiss wünschen und mit „Eau de Cheveaux“ besprühen würden. Neben hochkarätigen Dressur- und Springwettbewerben gibt es Zubehör für Ross und Reiter: Pferdebilder, Pferdekalender, Pferdebücher, aber – Skandal Nummer zwei – keine Pferdewürste! Dafür „Ergänzungsfuttermittel“ gegen Husten, Milben, Pilze, Mauke, Ekzeme, Spat, Arthrose und Koliken. Dann doch lieber Rindfleisch. Eiken Bruhn

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