: Scherf umarmt weiter bis zum Jahr 2005
■ Bürgermeister macht Amtswillen bis 2005 offiziell / SPD und Nachfolger parieren / CDU hat schlechte Karten
Was für Bremens Politkaste bereits seit Monaten fest stand ist jetzt offiziell: Bremens Bürgermeister Henning Scherf (SPD) will länger im Amt bleiben als bislang geplant. „Ich möchte noch einmal für die SPD als Spitzenkandidat bei der Wahl 2003 antreten, wenn die Partei mich will“, sagte Scherf jetzt der Illustrierten „Focus“. Bei einer Wiederwahl wolle er erst zur Hälfte der nächsten Legislaturperiode, also im Sommer 2005, aus dem Amt scheiden. Bislang hatte Scherf stets öffentlich gesagt, dass die laufende Legislaturperiode seine letzte Amtszeit als Bürgermeister sei.
Als Grund für seinen Sinneswandel gab der SPD-Politiker die prekäre Finanzsituation Bremens an. „Wenn wir hier ums nackte Überleben kämpfen, kann ich nicht fröhlich in den Ruhestand abtreten“, sagte Scherf zu „Focus“. Ende 2004 laufen für Bremen die milliardenschweren Sanierungshilfen des Bundes aus. Außerdem möchte Scherf den Strukturwandel der Hafenstadt zu einer „modernen Vorzeige-City“ weiter vorantreiben.
Weitaus wichtiger als diese Punkte dürfte aber die bloße Frage der Scherf-Nachfolge sein. Als Kandidaten werden der eher blasse aber als fleißiger Arbeiter bekannte Fraktions-Vorsitzende Jens Böhrnsen und Bildungssenator Willi Lemke, den ein Partei-Insider gestern als „Luftikus“ bezeichnete, gehandelt. Beide haben jedoch das gleiche Problem: Sie hatten in der laufenden Legislaturperiode kaum Zeit, sich neben Scherf als Nachfolger zu profilieren. Und eine Übergabe der Amtsgeschäfte erst kurz vor der Wahl 2003 würde die Siegchancen des Kandidaten erheblich schmälern.
So bezeichnete Lemke gestern gegenüber der taz bremen den Entschluss von Scherf als „klasse“. Scherf genieße großes Ansehen in der Bevölkerung. Zu eigenen Perspektiven sagte Lemke: „Ich habe zurzeit keine Ambitionen, Nachfolger von Henning Scherf zu werden. Eine solche regelt die Partei.“ Ob der jetzt von Scherf in den einstweiligen Nachfolge-Ruhestand versetzte Lemke allerdings noch sechs Jahre auf seine Berufung wartet, darf bezweifelt werden. Er sagte gestern nur: „Ich bin frei in meinen Entscheidungen.“ Aber: Die Karte Böhrnsen steigt im Wert.
Auch die Partei wird an Übervater Scherf nicht vorbeikommen. Zum einen wegen mangelnder Kandidaten, zum anderen wegen mangelnder Duchsetzungsfähigkeit gegenüber dem Bürgermeister. Kam doch als einzige Reaktion auf Randbemerkungen von Scherf vor dem SPD-Parteitag im März, er werde gedrängt, erneut zu kandidieren, eine wenig überzeugende und verklausulierte Antwort des Parteivorsitzenden Detlev Albers. Der hatte gesagt, im Jahre 2003 brauche die SPD einen Spitzenkandidaten, der dafür stehe, die absolute Mehrheit gewinnen zu wollen. Scherf steht bekanntlich als Verfechter der großen Koalition, um die CDU bei dem wackeligen Sanierungskurs als Verantwortliche mit im Boot zu haben – auch wenn er inzwischen neue Töne anschlägt. Muss er auch, hatte Scherf die Partei doch vor der Wahl 1999 mit einer Koalitionsaussage zugunsten der CDU vergrätzt, obwohl es einen Parteitagsbeschluss gab, erst den Urnengang abzuwarten. Selbst von dem sonst eher Scherf-kritisch eingestellten Vorsitzenden des SPD-Unterbezirks Stadt, Wolfgang Grotheer, war gestern nur Wohlwollendes über die erneute Kandidatur-Ansage Scherfs zu hören.
Stefan Luft, Sprecher von Scherfs CDU-Counterpart Hartmut Perschau, wollte gestern keinen Kommentar abgeben. Was soll die CDU auch machen? Zurzeit steht ihr Spitzenkandidat mit einem von der eigenen Fraktion angeschossenen Innensenator und einem Wirtschaftssenator im fortgeschrittenen Rentenalter für die Wahl 2003 in ziemlich kurzen Hosen da.
Damit gibt es für Henning Scherf derzeit wohl nur noch ein Problem zu lösen: Wie schafft er es, Reinhard Hoffmann zum Weitermachen bis 2005 zu überreden? Der Staatsrat und Leiter der Senatskanzlei ist der strategische Kopf im Rathaus „des Chaos-Stifters Scherf“, so Ex-Senator Horst-Werner Franke. Und einen Staatsrat auf Zeit zu finden, dürfte selbst dem ewigen Umarmer Henning Scherf nicht ganz leicht fallen. Jens Tittmann
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