Geld für Belgrad

Selbst Milošević’ korrupter Machtapparat konnte sich nicht mehr an der zerfallenden Wirtschaft bereichern

NÜRNBERG taz ■ Kaum sind die Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Wiedervereinigung abgeschlossen, verspürt die bundesdeutsche Öffentlichkeit erneut einen Hauch von 1989. Diesmal weht „the wind of change“ von Belgrad herüber. Seltsamerweise geht bei der Neuauflage der 89er-Euphorie die Erinnerung an die Folgejahre unter. In Bukarest, Sofia usw. haben nach den Volksaufständen kleptokratische Regime, die sich selber aus den Reihen der alten Eliten rekrutieren, die alte realsozialistische Nomenklatura abgelöst.

Selbst in denjenigen Nachbarländern, die von den verheerenden Folgen von bewaffneten Konflikten einigermaßen verschont blieben, scheiterten die Marktwirtschaftsreformen schon im Ansatz. Sie wurden mit einer beschleunigten Auszehrung der volkswirtschaftlichen Substanz und einem dramatischen Absinken des allgemeinen Lebensstandards bezahlt. BDI-Präsident Henkel bringt es dieser Tage allen Ernstes fertig anzukündigen, „die deutsche Industrie werde sich nun in Jugoslawien genauso investitionsfreudig verhalten wie im übrigen Osteuropa“. Er merkt offenbar gar nicht, dass es sich bei seinem Versprechen um eine Drohung handelt.

Die Situation im Herbst 2000 ähnelt in gewisser Hinsicht der von vor knapp vier Jahren, als das Regime nach dem Bosnienkrieg angesichts miserabler Lebensverhältnisse und der unverfrorenen Bereicherungssucht von Milošević’ weit verzweigtem Apparat schon einmal nah am Zusammenbruch war. Nachdem die Nato zunächst erfolgreich jede Opposition in Serbien weggebombt hatte, fand mit zeitlichem Abstand zum Kosovo-Krieg mit der „Allianz für den Wandel“ wieder ein gleich aus 17 verschiedenen Parteien und Gruppierungen zusammengeschustertes Anti-Milošević-Bündnis zusammen.

Nicht zuletzt im Gefolge der Nato-Intervention hat sich der Verfall von Wirtschaft und Gesellschaft in den letzten Jahren noch einmal beschleunigt. Nicht nur ist das Gros der jugoslawischen Bevölkerung bei einem auf durchschnittlich 80 Mark gesunkenen Monatsverdienst nur mehr peripher in die regulären Wirtschaftskreisläufe eingebunden; auch die Basis des staatlich-kriminellen Komplexes, der sich von der Ausschlachtung der jugoslawischen Modernisierungsruine nährt, hat sich soweit verschmälert, dass Milošević’ alte Spaltungsstrategie jetzt an Grenzen stieß. Seine eigene Klientel begann, ihm und seiner Partei untreu zu werden.

Koštunica und Co können erst einmal mit einer generösen Beurteilung durch den Westen rechnen. Die EU kündigt an, man werde der neuen Regierung materiell kräftig unter die Arme greifen. Der erste Schritt, die Aufhebung der Sanktionen, dürfte eher symbolische Bedeutung haben. Das Ölembargo war bereits durchlöchert. Auch wenn die übrigen Restriktionen fallen, das hochverschuldete und zahlungsunfähige Jugoslawien ist deshalb noch lange nicht in der Lage, die für den Wiederaufbau der maroden Infrastruktur notwendigen Importe auch zu finanzieren – sank doch beispielsweise der Handel zwischen Deutschland und Jugoslawien seit 1990 von 5,2 Milliarden auf eine Milliarde Mark, rechnet der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) vor.

Wenn man auch nur die Zerstörungen aus dem Kosovokrieg betrachtet, ergibt sich ein erschreckendes Bild. Bislang sind erst fünf Prozent der Kriegsschäden beseitigt. Unabhängige jugoslawische Experten gehen davon aus, dass 4 Milliarden Dollar notwendig wären, um die Infrastruktur auf das bescheidene Niveau zu bringen, das sie vor den Nato-Bomben hatte.

Die in Aussicht gestellten EU-Zahlungen – bisher gerade einmal 200 Millionen Euro Begrüßungsgeld – werden im Wesentlichen der nun etwas anders zusammengesetzten politischen Klasse Serbiens zugute kommen. Sie dürften sie zu einem gewissen Wohlverhalten dem Westen gegenüber motivieren. Mit einem Entwicklungsprogramm, das Jugoslawien an Europa heranführen könnte, hat das alles aber wenig zu tun. ERNST LOHOFF