Das maßgeschneiderte Kind

In den USA wurde extra ein Kind gezeugt, damit es Knochenmark für seine Schwester spenden kann. Die Präimplantationsdiagnostik ermöglicht die gezielte Menschenzucht

Die US-amerikanische Familie Nash hatte klare Vorstellung von ihrem nächsten Kind: Es sollte kein Träger des Gens sein, das die Fanconi-Anämie verursacht. Und es sollte sich gleichzeitig als Knochenmarkspender für die vier Jahre alte Tochter Molly eignen, die an der Fanconi-Anämie erkrankt ist. Für die Ärzte war das Problem leicht lösbar: Außerhalb des Mutterleibs wurden 12 Feten erzeugt und im Rahmen einer Präimplantationsdiagnostik auf ihre genetische Beschaffenheit hin untersucht. Zwei Feten erfüllten die gestellten Bedingungen, einer wurde implantiert. Die Erfolgsmeldung wurde von der Klinik vor kurzem verbreitet: Bereits einen Monat nach seiner Geburt konnte der neu geborene Adam seiner Schwester Molly mit einer ersten Blutspende helfen. Weitere Spenden von Blut und Knochenmark werden in den nächsten Jahren möglicherweise folgen müssen.

Etliche Medizinethiker und Reproduktionsmediziner, vor allem aus den angelsächsischen Ländern, halten bei solchen Konstellationen den Einsatz der Präimplantationsdiagnose für unproblematisch. Eltern knüpfen – so ihre Argumentation – auch bei natürlicher Zeugung Erwartungen an ihr Kind, verbinden mit ihm oft bestimmte Vorstellungen von der Zukunft der Familie. Kinder werden zum Beispiel gezeugt, um gefährdete Beziehungen zu kitten, um die Alterssicherung zu verbessern oder weil man sich gern selbst reproduzieren möchte – warum also nicht auch, um einem kranken Geschwisterkind zu helfen? Nichts, so wird festgestellt, spreche dafür, dass die für einen bestimmten Zweck erzeugten Kinder weniger geliebt würden als andere. Zugespitzt könnte man, mit Blick auf die Familie Nash, behaupten: Die erfolgreiche Anwendung der Präimplantationsdiagnose hat aus drei unglücklichen Menschen vier glückliche gemacht.

Was aber geschieht, wenn das Projekt fehlschlägt? Was, wenn das erzeugte Kind die Erwartungen nicht erfüllen kann – zum Beispiel wegen einer Fehldiagnose? Was wenn, im Fall der komplexen und noch wenig erforschten Fanconi-Anämie nicht unwahrscheinlich, auch wiederholte Transplantationen ihr Ziel nicht erreichen und das zu rettende Kind schließlich dennoch stirbt?

Allerdings: Ein Fehlschlag ist auch in anderen Konstellationen möglich, die zur Zeugung eines Kindes führen. So kann eine Beziehung trotz des gemeinsamen Kindes zerbrechen, das sie kitten sollte. Kinder können sich den Erwartungen, die an sie gestellt werden, nicht gewachsen zeigen oder gänzlich andere Interessen entwickeln. Auch hier sind die Konsequenzen für die Eltern-Kind-Beziehung nicht vorhersehbar – dies wird jedoch kaum als ein Argument gewertet, das grundsätzlich gegen die Zeugung von Kindern spricht. Und auch bei Eltern eines Kindes, das nach einer Präimplantationsdiagnose zur Welt gebracht wurde, ist nicht prinzipiell zu vermuten, dass dieses so ausschließlich als ein Spenderwesen für das Geschwisterkind betrachtet wird, dass ein Fehlschlag nicht zu verkraften wäre.

Allerdings ist zu fragen, ob etwa die Zeugung eines Kindes, das die Ehe der Eltern retten soll, gleichzusetzen ist mit der Zeugung eines Kindes, das als Knochenmarkspender für ein Geschwisterkind gedacht ist. Während das Kind im ersten Fall als soziales Gegenüber gedacht wird, als Teil einer komplexen Beziehung, funktioniert es im zweiten Fall lediglich als biologische Ressource. Nun ließe sich einwenden, dass es vielleicht leichter sei, als Knochenmarkspender in Anspruch genommen zu werden, denn als Spender von Beziehungsglück – wenn man sich die bisweilen zermürbende Struktur menschlicher Nahbeziehungen vor Augen führt. Doch immerhin erhalten Menschen, die ein soziales System positiv beeinflussen sollen, den Status von Akteuren; sie können sich, zumindest in einem gewissen Rahmen, autonom verhalten. Als biologische Ressource für transplantationsmedizinische Projekte werden sie dagegen als passives Objekt behandelt, das lediglich einen Eingriff dulden soll. Noch ist offen, inwieweit die Existenz eines als biologische Ressource erzeugten Menschen bleibend durch diesen Objektcharakter geprägt wird.

Die sozialen Beziehungen in einer Familie, in der ein Kind erzeugt wurde, weil es einem anderen Familienmitglied medizinisch nutzen kann, sind jedenfalls auf eine einzigartige Weise strukturiert: Das neue Kind hat konkrete Spenderpflichten; das ältere Kind verdankt dem neuen Kind bestenfalls sein Leben und sieht sich ihm gegenüber daher zu dauernder Dankbarkeit gezwungen; die Eltern schließlich tragen die Verantwortung, eine so asymmetrische Konstellation geschaffen zu haben und stehen damit unter erheblichem Erfolgsdruck.

Diese Konstellation kann sich unterschiedlich extrem entwickeln – abhängig davon, wie invasiv die Eingriffe sind, die dem Spenderkind zugemutet werden. Lebendspenden sind nicht nur bei Haut, Blut und Knochenmark möglich. Auch Teile der Leber, eine Niere oder Teile der Lunge können transplantiert werden, ohne dass das Leben des Spenders bedroht ist.

Vorstellbar wäre, hier eine Grenze zu ziehen. Beispielsweise: Erzeugung eines Knochenmarkspenders ja, Erzeugung eines Nierenspenders nein. Am beschriebenen sozialen Dilemma, das aus einer gezielten Erzeugung eines Kindes als Spender erfolgt, würde das jedoch nichts ändern. Und da Lebendspenden von Nieren erlaubt sind, werden sich solche Beschränkungen schwer durchhalten lassen. Zumal die Öffentlichkeit immer wieder mit Geschichten konfrontiert werden wird, deren Tragik so evident ist, dass sie die Überschreitung anerkannter Grenzen zu legitimieren scheint.

Die Auseinandersetzung, ob die Präimplantationsdiagnostik angewendet werden darf, um Organspender zu erzeugen, führt anschaulich das zentrale Problem vor Augen: Die Einführung dieser Technologie wird mit tragischen Einzelfällen begründet, die aber ihr Problempotenzial vor allem auf gesellschaftlicher Ebene entfaltet. Die Präimplantationsdiagnose erlaubt es heute, den Zufall bei der Zeugung in erheblichem Umfang auszuschließen. Sie ermöglicht damit eine gezielte Menschenproduktion. Dies geschieht zwar (noch) nicht in Serie, sondern individuell; die Produktion hat also eher handwerkliche als industrielle Dimension. Aber die Herstellung des Gewünschten ist so zuverlässig, dass sie insgesamt etwas zu verändern droht : Wenn irgendeine Konstellation vorliegt oder vorliegen könnte, die aus biologischen Gründen für problematisch gehalten wird, müssen sich Eltern künftig fragen: Gibt es die Möglichkeit, ein „nützliches“ Kind zu zeugen, wollen sie es – oder wollen sie es nicht? Damit ändern sich die sozialen Beziehungen zwischen den Menschen: Menschen zu zeugen wird immer schwerer von Qualitäts- und Zweckentscheidungen zu trennen sein; Menschen werden immer weniger als „wertvoll an sich“ und immer mehr als „wertvoll für etwas“ begriffen.

OLIVER TOLMEIN

Hinweise:Als biologische Ressource wird das Kind als passives Objekt behandelt, das Eingriffe erdulden sollNoch werden die Menschen nicht in Serie produziert – also eher handwerklich als industriell