Peking rockt wieder

In China feiert mit Cui Jian ein Held der studentischen Demokratiebewegung sein musikalisches Comeback

PEKING taz ■ Es klappt immer noch. Wenn Cui Jian beide Arme über die Gitarre hebt, spielt das Pekinger Publikum verrückt – ob 1989 bei den Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens oder Sonntagabend im Arbeiterstadon. Dabei hatte man Chinas Rocklegende schon totgesagt. Ganz plötzlich war Cui wieder da, stand im schwarzen T-Shirt mit rotem Anarcho-Stern vor mehreren zehntausend Zuschauern in Maos alter Arena.

Das ganze Benefizkonzert für die Bekämpfung von CD-Raubkopien von fast vierzig Pop- und Rockstars verlief ohne große Anteilnahme des Publikums – bis Cui die Bühne betrat. „Kaum war er aufgetreten, standen alle Zuschauer auf, manche stellten sich sogar auf den Stuhl, und klatschten, bis Cui Jian zu Ende gesungen hatte“, schrieb die parteitreue Pekinger Jugendzeitung tags darauf auf ihrem Titel. Die Botschaft von Pekings meistgelesener Tageszeitung: Die Partei will Cui aus der Verbannung zurückholen.

Bis 1996 durfte der Rockstar, der einst die studentische Demokratiebewegung mit Melodien und Schlachtrufen versorgte, gar nicht, seitdem nur vor kleinem Publikum in Peking auftreten. Man traf die Legende nachts in kleinen Bars der Hauptstadt, wenn Cui jugendlichen Punkbands lauschte und nur selten zur Gitarre griff. Daher rührte der Eindruck fortgeschrittenen Alters. Stets verglich man ihn mit Bob Dylan, was ihn auch nicht jünger machte. Ganz anders der Sonntagabend: „Wer nicht fliegen kann, soll wenigstens aufstehen“, bellte Cui das tobende Publikum an. Sein Lied, schrieb anderntags die Jugendzeitung, habe die „vertraute Leidenschaft von Cui“ gezeigt. Das Blatt weiß, dass diese Leidenschaft der Protestgeneration von 1989 vertraut ist.

Natürlich war Cuis erster größerer Auftritt seit so langer Zeit nur eine kleine Probeübung. Schließlich durfte der Rockstar nur ein Lied spielen und sagte anschließend: „Das war nicht unser Publikum, sondern größtenteils Leute, die der Hauptströmung der Popmusik folgen.“ Und doch wurde nichts an diesem Abend dem Zufall überlassen: Nach der Exilierung fast aller berühmter Dissidenten von 1989 gilt Cui als der große Überlebende der Revolte. Seine Protestsongs verankern bis heute das Tiananmen-Massaker im kollektiven Bewusstsein der Chinesen. Mit einem wie ihm geht die Partei nicht unüberlegt vor.

Ausgelöst durch eine Bemerkung von Partei- und Staatschef Jiang Zemin, der kürzlich gegenüber einem US-Sender erstmals öffentlich Verständnis für die Demokratieforderungen von 1989 äußerte, besteht heute leise Hoffnung auf eine offizielle Reinterpretation der Studentenrevolte. Inzwischen überstürzen sich unverifizierbare Berichte Hongkonger Zeitungen über angebliche Zerwürfnisse innerhalb der Partei. Im Mittelpunkt stehtLi Peng, der Hauptverantwortliche des Massakers von 1989 und heutige Vorsitzende des Nationalen Volkskongresses. Angeblich will nun Parteichef Jiang die reformfeindliche Li-Fraktion vor dem Parteikongress 2002 rechtzeitig schwächen und setzt dabei auf Versöhnung mit einem Teil der 89er-Generation, der parteiintern an Bedeutung gewinnt. Doch Jiangs Spiel birgt Risiken. Eines davon heißt Rock ’n’ Roll. Wie die Menge im Stadion aufbrauste, das versprach nichts Gutes für die Partei. GEORG BLUME