Heiligsein ist öde

... und fast unerträglich, findet die groteskenfreudige polnische Autorin Natasza Goerke, die jetzt in Hamburg liest. Ein Porträt  ■ Von Petra Schellen

„Also, wenn meine Bücher schwer sind, dann gebe ich auf.“ Sagt ausgerechnet Natasza Goerke, die Stile und Stoffe aller Zeiten und Kulturen ineinander montiert, so dass man sie nicht mehr aufgedröselt kriegt. Und wahrscheinlich soll man das auch gar nicht – genausowenig, wie Natasza Goerke die Literatur ihrer polnischen Landsleute sorgältig von der ihres geliebten Tibet trennt – denn fürs Auseinanderdividieren fühlt sie sich einfach nicht zuständig. Auch nicht für die akribische Wurzel-Suche – ein Faktum, das der 1960 in Poznan geborenen Goerke die polnischen Kritiker oft zum Vorwurf machen. „Sie sagen, meine Literatur sei zu extravagant, und fangen an, mir was von der Verantwortung des Autors zu erzählen“, sagt die seit 15 Jahren in Hamburg lebende, aber immer noch auf Polnisch schreibende Goerke, deren Erzählungsbände Sibirische Palme und Abschied vom Plasma internationales Aufsehen erregten, und die zu den literarischen Entdeckungen der letzten Jahre zählt.

„Sie sagen, ich entferne mich zu sehr von den Wurzeln“, berichtet sie mit zitronensauer verzogenem Mund „und anscheinend darf man das nicht. Sie haben wenig Humor, die Kritiker“, seufzt sie, während sie eine rosig duftende „Papst“-Kerze auf den Tisch stellt und fröhlich erzählt, dass sie Karol Woityla für einen „guten Man am falschen Ort“ hält. „Ist die Kerze nicht scheußlich?“ Sie freut sich am inszenierten Kitsch und bekennt, dass sie sich schon früh für die tibetische Kultur interessiert hat. Zum Orientalistik-Studium – erst in Krakau, dann in Hamburg – sei sie aber eher durch Zufall gekommen.

Auch ihre Dänemark- und Deutschland-Tour in den Achtzigern war eigentlich als Ferienreise gedacht – und dass sie mit Mitte 20 dann doch in Hamburg blieb, hat wohl „an den Farben des Westens“ gelegen. Aber verherrlichen möchte Goerke das nicht – so wenig, wie sie die Weisheit des Buddhismus oder des polnischen Untergrundkampfes in den 70ern und 80ern idealisiert – und noch weniger ihr eigenes Schreiben: „Damit habe ich hier im Westen angefangen, eigentlich eher durch Zufall“, sagt sie schon wieder, als wär's dasselbe wie Marmelade-Einkochen.

Den Durchbruch brachte „irgendein Literaturpreis, den ich für eine Geschichte bekam, die eine Freundin heimlich für mich eingeschickt hatte. Ich war gerade in Nepal, als ich erfuhr, dass ich gewonnen hatte. Das war wahnsinnig abstrakt damals“ – und so richtig ernst nimmt die nach einem mehrjährigen Intermezzo in einem Verlag jetzt wieder freischaffende Autorin ihre eigene „Karriere“ schon wieder nicht. „Ich schreibe wahnsinnig langsam“, sagt sie, nach ihrem Rhythmus gefragt „manchmal brauche ich eine Woche für eine Seite, und es ist schon ein Erfolg, wenn ich sie dann nicht wegschmeiße. Erstmal muss ich natürlich passende Namen finden, das ist sehr wichtig für mich. Manchmal weiß ich vorher, was ich schreiben will, ganz nebulös, der Rest der Geschichte passiert dann während des Schreibens. Manchmal lache ich mich schon halbtot, bevor ich ein einziges Wort geschrieben habe, und das ist ja ein gutes Zeichen... “, kichert sie, sich an der Situationskomik weidend, die auch alle ihre Erzählungen durchzieht: Als Schattenfigur taucht in der Erzählung Katharsis der – teuflische oder mönchartige – Richter über die Dichter auf, grotesk wie bei Stanislaw Witkiewicz, beißend komisch wie bei Witold Gombrowicz. Bei Goerke stirbt die zur Göttin erhobene Geliebte zum Beispiel an der „unerträglichen Monotonie des Heiligseins“, an anderer Stelle folgt die Autorin in einer eigenwilligen Mischung aus Hyperionscher Diotima-Schwärmerei und beißender Bulgakov-Kritik den Windungen des Dorian-Gray-artig (selbst-) verliebten Dandys, als sei es das Normalste der Welt, all diese Lagenwechsel auf engstem Raum, aufs Äußerste verdichtet, zusammenzubringen.

Eine bevorzugt persiflierte Epoche – anbieten würde sich in Natasza Goerkes Erzählungen die Romantik, surreal verfremdet – habe sie nicht, beteuert sie, „das passiert einfach, im Unterbewusstsein oder durch Zufall“. Überhaupt plant sie nicht, wann sie schreibt, und zur zwanghaft schöpferischen Autorin stilisiert sie sich schon gar nicht: „Darüber denke ich nicht so viel nach: Ich schreibe, wenn jemand etwas bestellt, und es ist gut, ein bisschen Druck zu haben; die Kreativität erstickt das nicht. Für Abschied vom Plasma habe ich zum Beispiel drei oder vier wochen lang ununterbrochen geschrieben, und das war gut so. Manchmal schreibe ich auch einfach so, zwischendurch – aber nicht ständig.“ Denn auch dies sieht Goerke entwaffnend profan: „Ich schreibe hauptsächlich dann, wenn ich was zu sagen habe“, erzählt Natasza Goerke vergnügt. „Und das habe ich nicht immer.“

Natasza Goerke: Abschied vom Plasma, Rospo-Verlag, Hamburg 2000, 112 Seiten, 28 Mark.

Lesung mit Natasza Goerke und Andrzej Stasiuk: Sonnabend, 20 Uhr, Polnisches Generalkonsulat, Marie-Luisen-Straße 137