Die Spionin, die aus Schwachhausen kam

■ Mata Hari II ist eine Bremerin: Marita Lorenz spionierte zwischen den Fronten des Kalten Krieges, nachdem sie eine Affäre mit Fidel Castro hatte. Der Bremer Regisseur Wilfried Huismann hat ihr aufregendes Leben verfilmt

Wenn sie Deutsch spricht, fällt sie in das breiteste Bremisch: Aus dem Tag wird dann ein Tach, gelernt heißt dann geleernt, und das Herz verwandelt sich in ein Heerz. Ende der 50er Jahre hat Marita Ilona Lorenz diesen inzwischen fast verschwundenen Zungenschlag konserviert. Damals ist die 1939 geborene Kapitänstochter aus Bremen-Schwachhausen im Alter von 19 Jahren sozusagen ausgewandert. Und bald darauf ist außer ihrem breiten Bremisch nichts so geblieben, wie es war. Denn Fidel Castro hat ihr das Heerz gebrochen.

Auf der Kinoleinwand die Skyline von New York. Reinhard Gossmanns Kamera schwenkt in die Hochhausschluchten hinab und taucht schließlich in die Menschenmassen auf dem Bürgersteig ein. Jede Person ist eine Geschichte. Doch es kann passieren, dass auch jemand mit einer ungewöhnlichen, ja unglaublichen Biographie gleich nebenan an der Fußgängerampel steht. Sie muss nur entdeckt werden. Der Regisseur und Filmautor Wilfried Huismann hat gesucht und in der Lorenz die Bremer Mata Hari gefunden.

Marita Ilona Lorenz verbringt ihre Kindheit in Bremen. 1944 wird sie zusammen mit ihrer Mutter im Konzentrationslager Bergen-Belsen inhaftiert. Nach dem Krieg vergewaltigt ein US-Seargent das siebenjährige Mädchen. In den 50er Jahren büchst sie als blinder Passagier zu ihrem Vater aufs Schiff aus. Kurz nach der kubanischen Revolution legt das Passagierschiff „Berlin“ am Kai von Havanna an. Der junge Revolutionsführer Fidel Castro geht an Bord. Der bärtige Revolutionär und die bildhübsche, noch jüngere Frau verlieben sich ineinander. Castro will, dass sie bleibt und sie zur „Königin von Kuba“ machen. Statt nur zehn Tage lang hält sich die bald schwangere Marita Lorenz achteinhalb Monate auf der Insel auf. Dann zwingt man sie – wer genau, ist unklar – zur Abtreibung. Die Lorenz entkommt in die USA. Und wird von Geheimdienstlern dazu gebracht, ein Attentat auf Fidel Castro auszuüben.

Können Sie noch folgen?

Marita Lorenz sagt: „Ich musste mein ganzes Leben lang rennen, ich weiß nicht wohin.“

Jetzt rennt Marita nicht. Die inzwischen von Sozialhilfe lebende Ex-Spionin sitzt da und öffnet die Seemannskiste mit all ihren Schätzen. Es sind Beweise: die Fotos von Castro und ihr, Castros Mütze, ein Dolch im Halfter. Sie erzählt. Nicht selten hatte der dreimal mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Wilfried Huismann an Marita Lorenz' Geschichte Zweifel. Doch dann fand er immer wieder Gesprächspartner und Dokumente, die belegen konnten, dass fast alles stimmte. Vielleicht sogar alles.

Schatzkiste und Schnitt. Ein weißes Schiff fährt auf die Häuser von Havanna zu. Am Kai spielt eine Band einen Tango zur Begrüßung. Überhaupt ist der Film „Lieber Fidel – Maritas Geschichte“ sehr musikalisch. Klaus Doldinger hat – ein bisschen wie damals bei „Das Boot“ – sphärische Klänge mit metallisch-dramatischen Untertönen komponiert. Dazu kubanische Sons. Immer wieder Sons. „No puedo ser feliz“ – „ich kann nicht glücklich sein“ heißt es da.

„Fidel, ich liebe dich noch immer“, sagt Marita Lorenz, wenn sie Castro auf dem Fernsehbildschirm sieht. Persönlich treffen wird sie ihn in diesem Road-Movie durch die Geschichte des Kalten Krieges nicht. Dafür begegnet sie einem anderen alten Freund. Ihre Bekenntnisse zu Fidel Castro klingen ein bisschen oft gesagt. Immerhin gibt es auch schon ein – kaum beachtetes – Buch über Maritas Geschichte. Offenbar will sie jetzt einen Kreis in ihr Leben ziehen – zur ersten Liebe, zu der man immer zurückkehrt, heißt es in einem weiteren Son.

Was ein Mensch alles aushalten kann. Marita Lorenz hat viel aushalten müssen, denn sie hatte mit der Weltgeschichte zu tun. Und die war dramatisch und verworren in den 60er und 70er Jahren. Nach ihrem kurzen Dasein als Prinzessin von Kuba und ihrer Ankunft in den USA brachten US-Geheimdienstler sie dazu, Castro zu vergiften. Erst willigte sie ein, dann tat sie es nicht – „Liebe war stärker“, sagt sie. Dafür tat sie andere Dinge. Sie hatte mit der Ausbildung der Söldner für die Invasion in der Schweinebucht zu tun. Sie hatte Affären mit dem ehemaligen Diktator von Venezuela, Mafiabossen und Polizeichefs. Sie hat im Auftrag der CIA, des FBI und möglicherweise auch des israelischen Mossad spioniert. Sie hat zwei Kinder groß gezogen. Und dann, Ende der 70er, flog sie auf: Da musste sie vor der Kommission aussagen, die untersuchte, ob der Mord an John F. Kennedy 1963 eine Geheimdienstverschwörung war.

Das ist noch nicht alles, soll hier aber genügen.

Wilfried Huismann hat sich nicht erschlagen lassen von dieser Flut von Fakten und Aussagen. Für seine Verfilmung hat er einen Rhythmus gefunden, der ruhig beginnt, dann wie ein Strudel in die abenteuerliche und mit viel Personal besetzte Geschichte hineinzieht und sich am Ende wieder beruhigt. Mit Ortsbegehungen und -befahrungen, einer Spielszene und zahllosen Interviews rekonstruiert er das Geschehen.

Offenbar müssen Huismann und seine Protagonistin im Lauf der Dreharbeiten und den damit verbundenen Reisen vertrauter miteinander geworden sein. Vom distanzierten Sie wechselt die Anrede ins Du. Marita Lorenz' Reden wirkt manchmal ungehobelt. Das ist so irritierend wie angenehm. Dann klingt sie fast wie die Verkäuferin vom Schlachtertresen im Supermarkt nebenan. Das Ungewöhnliche, ja fast Unglaubliche ist eben mitten unter uns.

Christoph Köster

Uraufführung am Freitag, 13. Oktober, 20 Uhr in der Schauburg – es gibt noch Restkarten an der Abendkasse. Nach dem Bundesstart am 19. Oktober ist der Film in Bremen in der Schauburg zu sehen