Das falsche Mittel gegen rechts

Es wird über ein Verbot der NPD diskutiert. Dabei hat der EU-Boykott gegen Österreich gerade gezeigt: Rechte Strömungen können nicht mit Gesetzen bekämpft werden

Deutschland im Herbst: Auf den Straßen werden Ausländer niedergeschlagen. Die NPD demonstriert brüllend ihren Rechtsradikalismus. Synagogen werden tätlich angegriffen. Der Bundestag debattiert mehr pathetisch als zweckgerichtet. Lange eingeübte Betroffenheitsrituale schwellen zur Vollform auf. Und alles mündet schließlich – wie immer, wenn es in Deutschland schwierig wird – im Ruf nach Verboten.

Konkret sollen zunächst die NPD und Demonstrationen in bestimmten Teilen des öffentlichen Raums illegalisiert werden. Hatten wir das nicht gerade schon im größeren, europäischen Rahmen? Im Fall Haider hatten die 14 EU-Staaten aus richtigem Anlass zum falschen Mittel gegriffen. Sie versuchten, die Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen FPÖ in Wien durch Sanktionen gegen Österreich zu boykottieren.

Das Mittel war nicht nur falsch, weil in der EU das Verhalten einzelner Politiker, Parteien und Koalitionen ebenso wenig verboten werden kann wie Parteien und Demonstrationen im öffentlichen Raum bei uns. Es war falsch, weil man Rechtsextremismus in Europa nicht mit majestätischer internationaler Politik, mit Staatenkonferenzen und -beschlüssen oder Zwangsmaßnahmen gegen einen Mitgliedsstaat bekämpfen kann. Das Ergebnis der EU-Sanktionen gegen Österreich ist bekannt: Im Land sind die Positionen von Haider und Co. stärker als zuvor, und auch in allen anderen EU-Staaten sehen sich die Rechtsextremisten bestätigt. Das Haider-Kraut hat starke Wurzeln und blüht auf allen Wiesen Europas munter weiter.

Zwar hatte der „Rat der drei Weisen“, der den Ausweg aus der Boykott-Sackgasse gefunden hatte, die Lage in Österreich durchaus kritisch beurteilt und daher dringlich vorgeschlagen, „einen Mechanismus innerhalb der Europäischen Union zu entwickeln, um das konkrete Handeln der einzelnen Mitgliedsstaaten der Union hinsichtlich der gemeinsamen europäischen Werte zu kontrollieren und zu beurteilen“. Doch der Vorschlag landete in den Schreibtischschubladen der Ministerialbürokratien: Die Politiker in den EU-Staaten waren ob der Möglichkeit einer Aufhebung der Sanktionen so erleichtert, dass sie damit gleich die ganze Frage eines europäischen Umgangs mit den Rechten für erledigt erklärten.

Bei uns entspricht das dem Irrtum, Parlamentsbeschlüsse und Gesetze seien die besten Mittel gegen rechts. Tatsächlich würde eine Ablehnung des NPD-Verbotsantrages den deutschen Rechten noch mehr nutzen als die EU-Sanktionen Haiders FPÖ. Auch eine Illegalisierung würde das Problem nicht lösen, sondern nur verschieben und dabei schwieriger erkenn- und greifbar machen. Das zeigen die Erfahrungen mit früheren Verboten – etwa dem der Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP). Und: Viele Politiker würden das Problem des Rechtsextremismus mit einem Verbot als erledigt betrachten – so, wie für sie auch das Problem Haider mit dem Ende des EU-Boykotts vom Tisch war.

In der EU ist die Schwachstelle die seit einiger Zeit als Gegenposition gegen alles Schlechte in den Vordergrund gerückte „Wertegemeinschaft“. Für eine Umsetzung in konkrete Politik ist das eine viel zu schwammige Vorstellung. Früher, in den Jahrzehnten des Kalten Krieges, war das einfacher. Da diente der Antikommunismus als der allumfassende und allgemein anerkannte politisch-moralische Wert, der bequemerweise auch weit nach rechts ausgriff.

Heute werden zwar Ereignisse wie die militärische Intervention im Kosovo und der Österreich-Boykott damit begründet, dass die EU eine Wertegemeinschaft sei. Aber die konkrete Verständigung auf gemeinsame Werte und deren Wahrung bleibt zwischen den EU-Staaten schwierig, wenn sich die Diskussion von den Kernbereichen der Menschen- und Bürgerrechte wie etwa Folter oder rechtswidrige Inhaftierung entfernt. Denn bei den erweiterten Wertediskussionen wie über Haider sind die unterschiedlichsten Traditionen, Gesinnungen, Vorurteile, Beschränktheiten und Opportunismen wirksam.

In der Bundesrepublik entstand der politische Wertekanon ab 1949 aus dem antikommunistischen Grundkonsens des Westblocks. Die Einbindung von Nazis in die konservative Politik war konstitutiv für die Adenauer-Zeit. Nur langsam setzte sich die Einsicht durch, dass auch von rechts Gefahr drohen kann. Unabhängig davon ist die Vorstellung, es sei gute Politik, den rechten politischen Rand in die eigene Partei einzubinden, weiterhin wirksam. In Kauf genommen wird dabei, dass die einbindende Partei selbst nach rechts rückt. Dies geschieht zu einem nicht geringem Maße aus parteipolitischem Opportunismus – ein weiteres Problem der „Wertegemeinschaft“ Bundesrepublik.

Rechtsextremismus ist in Europa ein gesellschaftliches Phänomen, das weitgehend einheitlich in Erscheinung tritt, aber in jedem Staat eigene historische und soziokulturelle Ursprünge und Grundlagen hat. Rechte Ideologie und Politik können daher nicht auf staatlicher, sondern nur auf gesellschaftlicher Ebene wirkungsvoll bekämpft werden – indem jeder demokratische Europäer und insbesondere jeder demokratische Politiker jeder Erscheinungsform des Rechtsextremismus und jedem ihm zuneigenden Europäer bei jeder Gelegenheit und an jedem Ort in Europa entgegentritt.

Hätten im Falle der Haider-Koalition die demokratischen Parteien und Politiker Europas, insbesondere die aus dem sprachgleichen Nachbarland Deutschland, die demokratischen Kräfte in Österreich massiv und ostentativ unterstützt, hätten sie insbesondere auf ihre Schwesterparteien in Österreich auf richtige Weise eingewirkt und hätten sie – gewissermaßen mit einem sehr politischen Verständnis von Freizügigkeit in „Schengenland“ – all dies auch in Österreich selbst getan, dann hätte vielleicht sogar der EU-Boykott einen gewissen Sinn gemacht.

Bundeskanzler Schröder hat zu einem „Aufstand der Anständigen“ aufgerufen. Doch einem massenhaften Aufbegehren gegen rechts stehen wohl doch noch zu viele rechte Vordenker, Wortgeber und Rechtseinbinder entgegen – etwa Bayerns Ministerpräsident Stoiber. Der hat als Erster öffentlich eine Koalition der österreichischen Konservativen mit der Haider-FPÖ vorgeschlagen. Demnach würde er eine solche Koalition in einer ähnlichen Situation ebenfalls eingehen. Oder sein Innenminister Beckstein, der sich vehement für ein Verbot der NPD einsetzt, gleichzeitig aber mit seiner Unterscheidung von „nützlichen und unnützlichen Ausländern“ Verständnissignale nach rechts aussendet.

Schließlich lässt sich auch fragen, wie groß beziehungsweise klein der Abstand zwischen dem von Goebbels erfundenen und von Haider häufig gebrauchten Schlagwort „Überfremdung“ und bei den uns gängigen rechtsgewirkten Parolen wie etwa „Kinder statt Inder“ (Rüttgers, CDU) oder „Das Boot ist voll“ (Schily, SPD) ist. Spätestens an diesem Punkt wird klar: Für den Kampf gegen rechts braucht es mehr als Verbote. HANS ARNOLD

Hinweise:Das Ergebnis der EU-Sanktionen ist bekannt: Das Haider-Kraut blüht nun auf allen Wiesen EuropasEine Ablehnung des Verbotsantrags würde der NPD noch mehr nutzen als die EU-Sanktionen der FPÖ