die stimme der kritik: Betr.: Babes in Badeanzügen und die Tschad Verkehrsbetriebe
Von Cookies und Kontrollen
Neulich bin ich auf einer Erotikseite im Internet gelandet. Sofern man darauf landen kann, denn umsonst ist nichts, nicht mal nackichte Mädchen. Allein ein paar halb gare Bilder von Frauen mit wenig an, aber kleinen Buttons mit „Click“ oder „Enter!“ an pikanten Körperstellen konnte ich erkennen, und wenn ich dann clicken oder entern wollte, kam die Seite mit den Kreditkarten. Aber: Ganz unten gab es zwei Felder, auf einem stand „I’m 18 +“, auf dem anderen „I’m underaged“. Wollen doch mal sehen, dachte ich, band mir Zöpfe und clickte „I’m underaged“. Und landete – bei www.disney.com.
Amüsant, sich vorzustellen, dass junge, brave Menschen am Abend ihres 18. Geburtstags das erste Mal „I’m 18 +“ clicken und dann fassungslos vor so viel Halbnacktem mit nichts als Buttons an sitzen. Ob es wirklich einen Jugendlichen gibt, der sich allein von der Bitte, hier jetzt nicht zu gucken, beeindrucken lässt? Ob ich die allererste Besucherin war, die auf diese Weise auf der Disney-Seite landete? Und ob ich dort Cookies hinterlassen habe, das sind diese merkwürdigen, unsichtbaren Spuren, die den Erotikanbietern ermöglichen, einem schmutzige Mails zu senden?
Eine Mail etwa hieß „Wo warst du gestern bei der Party?“, und ich habe sie nichts ahnend aufgemacht, denn es gibt immer eine Party, bei der man nicht war. Dann stand da aber: „Hey, ich hab dich gestern vermisst. Ich heiße Anja, bin blond, gut gebaut und bade immer ohne Badeanzug unter www.nixen.com.“ Ich war so schockiert, dass ich zurückmailte: „Anja! Ich bin weder lesbisch noch FKK-Fan. Wenn ich noch eine schmutzige Badeanzugmail bekomme, sprenge ich die Homepage.“
Jedoch: Antworten jeglicher Art beflügeln virtuelle Badenixen nur. Sie schreiben mir aber schon nicht mehr, wahrscheinlich haben sich meine Cookies auf der Disney-Seite, auf der ich freiwillig auf minderjährig machte, herumgesprochen. Bei auf Ehre und Freiwilligkeit basierenden Systemen fällt mir immer ein befreundeter US-Amerikaner ein, der, als er bei einem Berlinbesuch die U-Bahn benutzte, fassungslos ausrief: „I can’t believe, that this system is really based on honour!“
Und es ist doch wirklich ein sehr menschenfreundlicher Zug (ha!) der Berliner Verkehrsbetriebe, dass sie sich auf die Ehrhaftigkeit ihrer NutzerInnen verlässt und nur ab und an kontrolliert. Demnächst werde ich bei einer Fahrkartenkontrolle behaupten, ich sei underaged und müsse nur den Schülertarif zahlen. Vielleicht klappts ja. JENNI ZYLKA
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