: Verrückt werden
Gewinnwarnungen sorgen für erheblich getrübte Börsenstimmung. Kleinanleger reagieren hektisch
BERLIN taz ■ Wer die Börse beobachtet, muss die Akteure für verrückt halten. Die Stimmung schwankt zwischen Panik und Durchhalten. Täglich finden sich Analysten, die ein Ende der rutschenden Kurse sehen – und zum „billigen Einkauf“ raten. Andere warnen, „eine Bodenbildung“ der Kurse sei noch nicht da.
Gestern immerhin beruhigten sich die Märkte etwas, verzeichneten Dax und Nemax bis zum Nachmittag leichte Gewinne. Grund war die Ankündigung des US-Chipherstellers AMD, der höhere Gewinne als erwartet bekannt gab. Prompt erholen sich weltweit die Aktienkurse im Technikbereich. Fragt sich der Beobachter: Alle verrückt?
Einerseits nein, denn AMD stellt Chips her, quasi Grundbausteine für die gesamte Branche, weshalb man sein Geschäft als Leitwert betrachten kann. Andererseits ja, denn AMD hat im dritten Quartal einen Gewinn von 64 Cent pro Aktie gemacht – nur zwei Cent mehr, als die Analysten erwartet haben. Offenbar überwiegt die Psychologie.
Das dritte Geschäftsquartal ist für viele Branchen ein entscheidendes. Und so hat es Tradition, dass Anfang Oktober stets besonders kritisch auf Gewinne geschaut wird – und die Kurse meist fallen. Dabei werden Gewinnwarnungen (also weniger Gewinn als versprochen) mehr beachtet als positive Überraschungen. Auch zurzeit überwiegt der Pessimismus, dabei überwiegen gute Nachrichten: Laut Goldman-Sachs sind in Europa die Halbjahresergebnisse zu 80 Prozent über oder in den Erwartungen gewesen. Doch mancher Firma hilft nicht mal mehr Gewinn: Trotz einem Cent pro Aktie mehr als erwartet brach Yahoo vorgestern um mehr als ein Fünftel ein. Das zeigt, wie sehr das Vertrauen dahin ist. Zur Panik gebe es keinen Grund, erklären Experten immer wieder. Manch Kleinanleger dürfte das anders sehen, wenn sich seine Anlage mal eben wegen einer Gewinnwarnung halbiert – wie Apple-Aktionäre erleben mussten. Neuer Markt und Nasdaq haben seit September je ein Viertel verloren, seit März die Hälfte. Wer rechtzeitig wieder einsteigt, kann auf schnelle Gewinne hoffen. Nur wann wird das sein? Eine Frage zum Verrücktwerden. MATTHIAS URBACH
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen