Was essen Polen zum Frühstück?

Was wissen Deutsche über Polen? Nichts. Höchstens Klischees, Vorurteile. Aber mit ihnen lässt sich sehr gut und friedlich leben

von JOANNA WIÓRKIEWICZ

Eine ältere Dame in Berlin fragte mich, während sie mit dem Messer Butter auf dem Brötchen zerdrückte: „Was essen Polen zum Frühstück?“ – „Dasselbe, sie essen dasselbe.“ Ihre Aufmerksamkeit versetzte mich in gute Stimmung. Schließlich verzierte ich die Butter auf meinem Brötchen mit Marmelade. Brötchen mit Butter und Marmelade? Sie wirkte enttäuscht. „Oder mit Käse, oder mit Schinken“, ergänzte ich rasch.

Aber Kaffee, so viel Kaffee trinken Sie nicht, stimmt’s?“ tröstete sich mein Gegenüber. „Weil wir keine Kolonien haben“, sagte ich. „Kaffee war in Polen immer teuer, den mussten wir bei euch kaufen.“

In den zehn Jahren seither hat mir nie wieder jemand so eindringliche Fragen zu Polen gestellt. Außer über den berüchtigten polnischen Antisemitismus, der sich in Deutschland so großer Popularität erfreut. Vielleicht hat mich deshalb niemand etwas Besonderes gefragt, weil die Deutschen zu dieser Zeit mit sich selbst beschäftigt waren. Überhaupt nicht interessiert an anderen, schon gar nicht den Nachbarn.

Eine liebenswerte Biofundamentalistin aus dem wohlhabenden Berliner Bezirk Zehlendorf, Ute mit Namen, politisch geadelt durch die Achtundsechzigervergangenheit, erklärte mir die Abneigung ihrer Generation gegen alles aus dem Osten: „Für uns endete Europa an der DDR-Grenze. Polen war immer ein weißer Fleck. Auf der Welt gibt es so viele schöne Orte. Weshalb also die weißen Flecken grau anstreichen?“

Die graue Farbe war jahrzehntelang die Tönung Osteuropas, auch Polens. Ein weißer Fleck also. Erst vor zehn Jahren entdeckte Shell Osteuropa und dokumentiert seitdem dessen Straßen in seinem Europaatlas. Die Biofundamentalistin nutzte die Gunst der Stunde und legte sich eine Villa in Miedzyzdroje zu. Deswegen hält sie sich viel öfter in Polen auf als ich, und manchmal überlege ich mir, wie sie mein Land betrachtet. Was sieht sie? Sehe ich dasselbe?

Inzwischen beschäftigt mich diese Frage jedes Mal, wenn ich Polen besuche. Was sieht Ute? Zuerst die Straße, Geschäfte, Restaurants, die McDonald’s. Die Preise können sich noch sehen lassen, die Ware wird zusehends besser. Besonders Schuhe. Italienische Modelle. In Berlin kosten sie über zweihundert Mark, in Miedzyzdroje nur fünfzig. Ute gibt es nicht zu, dass sie sie aus Polen einführt, aber ich weiß es.

Zudem lässt Ute für sich nähen, von einer vielseitig talentierten Schauspielerin, die von ihren Auftritten nicht leben kann. Früher bekamen die Schauspieler Gehälter plus Honorar. Auch das hat sich geändert. Vielseitig begabt sind in Polen nicht nur Schauspieler, obwohl die Vielseitigkeit des ewig betrunkenen Mimen Boguslaw Linda, dessen typisch polnisches Gesicht – mittleres Schlitzohr, etwas Macho und eigentlich missraten – überall zu sehen ist.

Sogar Ute hat das bemerkt. Linda muss einen guten Agenten haben. Auch das hat sich geändert. Früher gab es in Polen keine Kulturagenten. Heute schlagen sich die Berühmtesten um eine Rolle in der Werbung. Da ist die Gage höher als im Film und die Einschaltquote auch. Wie in Deutschland.

Apropos Einschaltquote: Beide ertragen wir das polnische Fernsehen nicht. Diese Reklame. Und die Filme, auf die sich die Nation stürzt und im Dunkeln vor Rührung Tränen vergießt: Sturmfluten und angeschimmelter historischer Kitsch im Rang von Denkmälern der Nationalkultur.

Denkmäler interessieren uns nicht. Ich versuche ihr aber zu erklären, warum für meine Landsleute Denkmäler, Symbole, Rituale so wichtig sind. Immerhin hat sich Ute nach zehn Jahren an bestimmte Erscheinungen gewöhnt, zum Beispiel an die Zeremonien des polnischen Sonntags, an die vormittäglichen Wellen von Menschen auf den Straßen – Wellen, die sich an den Kirchenportalen treffen. Die Leute begrüßen und betrachten sich, wechseln ein paar Worte, bis sie von den drängenden Strömen in beide Richtungen – die einen zum Ausgang, die anderen zum Eingang – auseinandergerissen werden.

Utes Ohren haben schon die langgezogenen, schlecht gesungenen Klagelieder derjenigen gehört, die aus dem Beton der neuen Superkirchen herausdrängen. Immer öfter ähneln die Lieder Rockballaden. Die polnische Kirche ist in dieser Hinsicht nicht weniger fortschrittlich als die Kirchen der schwarzen Amerikaner. Anders als in Deutschland gibt es in Polen praktisch keine Kirchenchöre. Zweifellos hat diese Tatsache jedoch einen negativen Einfluss darauf, wie man in Polen singt. Ein Presley wird hier bestimmt keiner.

Ute ist nicht mehr so schockiert vom polnischen sonntäglichen Katholizismus, der sich für den Rest der Woche so leicht ablösen lässt wie eine Banane von der Schale. Sie meint, die Polen hätten nur die eine durch eine andere Macht ersetzt. Entzugserscheinung, sagt sie.

Eine Gleichsetzung der katholischen Kirche mit dem früheren Regime halte ich für eine ungerechte Vereinfachung, halte mich aber zurück. Eigentlich ist das Thema zwischen uns abgeschlossen, aber Ute hat bei mir ungewollt Warnlämpchen angezündet. So beobachte ich meine Warschauer und Krakauer Bekannten, die zu Solidarność-Zeiten eine Liebe für die Kirche entwickelten und deren Glaubensgrundsätze übernahmen wie früher den Parteiausweis. Jede Macht hat ihren Charme und ihre Anziehungskraft. Und erst eine, die zweitausend Jahre Erfahrung hat.

Die Begegnungen mit Ute beeinflussen doch den Blick auf mein Land. Ohne sie würde ich viele Dinge schärfer sehen, andere nicht bemerken. „Ich sehe was, was du nicht siehst“, rufen wir uns zu. Aber wir genießen unseren Sonntag in Polen.

Nach der Messe gibt es das Mittagessen, das zweite sonntägliche Ritual. Hier treffe ich mich wieder mit Ute, die angesichts des in Polen konsumierten Fleischbergs den Kopf schüttelt. Ute isst nur Salate und trinkt Pinot Grigio. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie in Polen zur Vegetarierin wurde, nachdem sie jahrelang den Polen dabei zuschauen musste, wie sie von morgens bis abends Schinken, Koteletts und scharfe Knoblauchwürste essen.

Sie begreift nicht, dass dieser Fleischwahn Ausgleich ist für die mageren Jahre, als man außer Kartoffeln, Erbsen und Essig nichts kaufen konnte. Wenn sie nur Balsamico und Erbsen im Kühlschrank hat, dann als Abwehr gegen den Terror überlaufender Regale in westlichen Kaufhäusern.

Diese Abwehr gibt es auch bei der polnischen Jugend, unter der sich der Vegetarianismus wie eine ansteckende Krankheit verbreitet. Das ist nicht nur eine Antwort auf den Proteinwahn der Eltern, sondern auch Ausdruck eines Aufstands dieser Generation.

Mit den polnischen Jugendlichen versteht sich Ute im übrigen ausgezeichnet. Umso mehr, als diese Fremdsprachen beherrschen. Mich macht das Niveau der polnischen Jugend stolz. Das gegenwärtige demographische Hoch, entstanden in den Polizeistunden während des Kriegsrechts, hat ärmliche Berufsaussichten. Um die Klientel nicht zu frustrieren, spricht man darüber in den polnischen Medien lieber nicht.

So gut sich Ute mit den Zwanzigjährigen versteht, so wenig Verständnis kann sie für deren Mütter aufbringen. Die polnische Frau ist ein Phänomen, das trotz sich lawinenartig entwickelnder Gender Studies an den polnischen Universitäten noch nicht hinreichend beschrieben wurde. Alles, was man unter der „jiddischen Mamme“ versteht, trifft auf die polnischen Mütter zu.

Wie Hennen glucken sie auf ihren Küken, unter denen das größte der Ehemann ist. Ute kann nicht begreifen, warum diese tüchtigen Weiber sich von der weltlichen oder kirchlichen Macht an der Nase herumführen lassen. Ich auch nicht. „Die sind selbst schuld“, sagt Ute bitter. Sind sie tatsächlich selbst schuld?

Nachdem ich einige Zeit überlegt habe, sage ich, das sei eine Vereinfachung, obwohl vieles daran wahr ist. Pinot Grigio führt bei mir jedoch nicht zu mehr Diskussionslust. Schließlich kann auch die längste Unterhaltung nicht meine 45 Jahre währende schmerzliche und fröhliche Erfahrung mit Polen erklären. „Was für ein Pferd das ist, kann jeder sehen“, sagte jemand philosophisch, und dieser Satz ging in die Literaturgeschichte ein. Was Polen für ein Land ist, kann jeder sehen. Aber jeder sieht etwas anderes.

JOANNA WIÓRKIEWICZ, 45, Journalistin und Publizistin, lebt seit zwölf Jahren in Berlin. Die Übersetzung aus dem Polnischen besorgte RUTH HENNING