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Heinrich spielt Fußball ...

■ ... und Wurst Aaron hat Sex: Das Oldenburger widu-Theater treibt mit „Shakespeares sämtliche Werke“ seinen Spaß

Klar, man kann darüber streiten, ob eine freie Theatergruppe unbedingt „Shakespeares sämtliche Werke – leicht gekürzt“ bringen muss. Denn das Erfolgsstück von Adam Long, Daniel Singer und Jess Winfield ist doch schon reichlich durchgenudelt worden. Das Oldenburger „widu theater“ aber hat in der Regie von Rotraut de Neve (Hamburg) das Stücke-Stück noch mal durch den Wolf gedreht, Personen gestrichen, andere neu erfunden, das ganze mit viel Improvisation gewürzt, mit Sekt abgelöscht und 'ne Prise Cabaret dazugestreut – voilá, ein prickelnd, vergnüglicher Theaterabend. Dem es natürlich auch hie und da an Tempo fehlte, denn die Improvisationen mit Publikum waren offensichtlich bei der Premiere in der „Fabrik Rosenstraße“ noch schwer berechenbar. Da hat zeitweise etwas der Zug zur nächsten Szene gefehlt.

Nachtschwester Ursula ist ja auch nur ganz aus Versehen in das Stück geraten. Eigentlich wollte sie mit schweizerischer Gründlichkeit – dieser Akzent – nur mal gucken gehen, ob da Backstage irgendwelche Schauspieler sind, denn die Bühne blieb an diesem Theaterabend leer. Und darüber regte sich ein Herr aus dem Publikum mit Bäuchlein und Schnurrbart ziemlich auf, denn dieser Herr Dr. Friedhelm Bruse ist es als Gymnasiallehrer und Nichtraucher nun mal gewohnt, dass alles seine philologische Ordnung hat. Dieter Hinrichs schafft es in dieser Rolle, irgendwo zwischen Harry Mulisch und Dieter Hildebrandt eine Figur zu entwickeln, die weitestgehend alles pantomimisch Clowneske vermissen lässt, das sonst schon so typisch Hinrichs ist. Und Herr Bruse geht dann nun mal eben selbst gucken, ob da jemand ist, findet nur Flaschen vor, bedient sich am Sekt, gibt dem Publikum einen aus um nebenbei mit Nachtschwester Ursula – übrigens Mitglied im Club der anonymen Shakespeareliebhaberinnen – eine kleine Fachsimpelei zu beginnen, die im Streit über Daten endet, aus dem prompt ein Publikumsquiz entsteht. Schon ist man drin im Stück.

Ursula dreht sich als Julia naive Zöpfchen ins Haar, Richard II. spielt gegen Heinrich IV. Fußball und landet nach einem gekonnten Fallrückzieher in der Abseitsfalle, aber schon wird King Lear eingewechselt. Brusemann faselt was von Apokryphen, noch mal Sekt, weiter geht's mit den Komödien und ziemlich viel Unterleib, also dem echten Shakespeare, und schließlich steht Brusemann ohne Hosen und Ursula gefangen in seinen elastischen Trägern da. Applaus, die Lämpchen an den roten Samtvorhängen blinken, Varieté, Varieté.

Wenn Monika Maria Ernst mit stierendem glasigem Blick die Sektflasche schwenkt und sich durch das Potpourri lallend von aphrodisierenden Sommernächten schwafelt, dann rutscht das Ganze ziemlich haarscharf am Klamauk vorbei. Aber die Schauspielerin kommt schließlich aus Köln und da darf dat. Strüssge also, und Alaaf. Richtig packend wird dann zum Stichwort „Leichenschmaus“ so 'ne Art Küchentheater. Der Koch: Dr. Bruse. Die Protagonisten: Ein Blumenkohl als Titus Andronicus und Tamorra ist ein weiches Brötchen. Unaufhaltsam führen die Exekutionen von Salatgurken (Titus Söhne), Eiern und Kartoffeln (Tamorras Söhne) und die spritzende Schändung der Melone durch die Hände des Kochs zur finalen Pastete. Bruse rauft schließlich dem irren Titus-Kohl den Kopf und legt vegetative Hirnwindungen frei, während noch einmal Aaron, die Wurst, in das weiche Tamorra-Brötchen dringen darf und einen Negerkuss hervorbringt. Dieses Gespritze und Gematsche mit kulinarischen Personenstellvertretern erlaubte Dieter Hinrichs eine so drastische Darstellung des Grauens, dass über den Aberwitz dieser Szene der ganze Titus in seinem Irrsinn begriffen wurde.

Und ansonsten: ein durchaus vergnüglicher Abend. Strüssge.

Marijke Gerwin

Weitere Aufführungen am 14. und 15. Oktober um 20 Uhr im widu-Theater, Fabrik Rosenstraße, Rosenstraße 2, Oldenburg, Kontakt unter % 0441/24 89 393

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