: Zeit der Hardliner
Moderate Staatschefs und kühle Strategen verlieren, Kriegstreiber gewinnen an Sympathien im Nahen Osten
BERLIN taz ■ Es ist die Zeit der Hardliner im Nahen Osten. In Palästina und Israel wird scharf geschossen. In Ägypten, Jordanien und sogar im fernen Marokko protestieren Menschen mit Parolen, unversöhnlich wie lange nicht mehr: „Tod den Juden!“ Eine „Kriegserklärung an Israel“ verlangt Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi von der zur Krisensitzung nach Kairo einberufenen Arabischen Liga. „Gebt uns ein Stück Land an der Grenze zu Israel. Dann werdet ihr sehen, wie schnell wir den Zionismus ausradieren“, tönt Saddam Hussein und lässt schon einmal Panzer an der Grenze zu Jordanien aufmarschieren, so als könnten sie morgen bis Jerusalem rollen. Tatsächlich soll der Aufmarsch wohl eher den irakischen Diktator wieder ins Gespräch und den jungen, dem Friedensabkommen seines verstorbenen Vaters verpflichteten Haschemitenkönig Abdallah in Verlegenheit bringen.
Noch beschränkt sich Abdallah darauf, palästinensische Opfer der israelischen Soldaten in jordanischen Krankenhäusern behandeln zu lassen. Ähnlich vorsichtig gibt sich Syriens Präsident Baschar al-Assad. Er weiß, dass er sein von seinem verstorbenen Vater Hafis al-Assad in die internationale Isolation getriebenes Land nur durch friedliche Töne in die Weltgemeinschaft reintegrieren kann. Priorität hat für ihn die Rückgewinnung des seit 1967 von Israel besetzten Golan, und dieses Ziel kann er nur durch Verhandlungen erreichen.
Doch je länger die als moderat geltenden arabischen Staatschefs wie Ägyptens Husni Mubarak, Marokkos Muhammad VI. oder Jordaniens Abdallah und kühle Strategen wie Assad die Contenance waren, desto größer ist die Chance für notorische Kriegstreiber, die Sympathien vieler Araber und Muslime für sich zu gewinnen. Die Anschläge auf ein US-amerikanisches Kriegsschiff vor der jemenitischen Hafenstadt Aden und das Attentat auf die britische Botschaft in der Hauptstadt Sana’a vor zwei Tagen sind Indizien dafür. Noch kann nur darüber spekuliert werden, ob der exilierte saudische Islamistenführer Ussama Bin Laden dahintersteckt oder eine andere Terrortruppe.
Seit dem offiziellen Auftakt des Nahost-Friedensprozesses in Madrid vor neun Jahren haben alle Beteiligten übersehen – oder nicht sehen wollen –, dass der Übergang vom Kriegs- zum Friedenszustand nicht allein von Regierungen oder „Führern“ geschaffen werden kann, sondern eine Sache der Bevölkerungen ist. Bei denen ist die Nachricht vom Frieden nie angekommen – auf beiden Seiten. In keinem arabischen Schulbuch ist bisher eine adäquate Darstellung der Geschichte Israels nachzulesen. Und auch in israelischen Schulen gehört es längst nicht zum Allgemeinwissen, dass die Zionisten einst mitnichten ein menschenleeres Land besiedelten.
Im Bewusstsein vieler Araber ist der Holocaust kein Thema. Die Israelis gelten ihnen als vor allem aus Europa gekommener Fremdkörper. In der Wahrnehmung vieler Israelis sind Palästinenser noch immer kameltreibende Araber, die ihre Heimat schon irgendwann irgendwo zwischen Mekka, Medina und Riad finden werden.
Die Folge ist ein rein taktischer Umgang miteinander. Regierungen, Führungen, Militärs und Geheimdienstler verhandeln über rote Linien im Libanon, Arrangements auf dem Golan und geheime Nichtangriffspakte sogar zwischen Israel und Irak sowie Israel und Iran. Araber verschleppen Israelis und Israelis Araber. Anschließend wird über den Austausch verhandelt – notfalls der Gebeine. THOMAS DREGER
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