Geile Sachen für den Haushalt

Als jung betrachten sich viele. Bis sie wirkliche Jugendliche treffen – zum Beispiel auf der Jugendmesse YOU. Dort durfte der Nachwuchs am Wochenende bei Viva mitmachen, Nokia-Schnee anfassen und Bewag-Autoscooter ausprobieren

Wenn es stimmt, dass man immer so alt ist, wie man sich fühlt, dann würde ich mich nicht gerade als erwachsen bezeichnen. Meine Samstagabende verbringe ich in irgendwelchen Clubs, in meiner Küche hängt ein H&M-Plakat, und wenn ich in New York ein Bier bestelle, dann will der Kellner meinen Ausweis sehen. Ein Fall für die YOU, die größte Jugendmesse Europas. „Ein voll fettes Programm“ verspricht der Veranstalter: „Soviel Action und Infos, dass ein Messetag nicht reichen wird, um alle Events in Anspruch zu nehmen.“ Also rein in die HipHop-Hose und ran an den Fun! Die Messehallen unter dem Funkturm warten.

Action verspricht schon allein der Gang durch die Hallen. Wer nicht aufpasst, wird von einem Kickboard umgefahren. Ständig besteht die Gefahr, den ausgestreckten Arm eines Promo-Teams ins Gesicht zu bekommen. Von links gibt es Gummibärchen der SPD, von rechts das Nivea-Hautpflege-Set. Irgendwer hängt mir ein Band mit einer CD-Rom um den Hals. Der Mitarbeiter einer Internetfirma erzählt etwas von einem Portal, wo man Spaß haben kann.

Sechzig Events gibt es in den fünf Hallen – jedes hat den Vornamen einer Firma bekommen: Es gibt den Milka Mountainbike-Parcours, Sinalco Beachvolleyball, den Bewag Autoscooter. Die Pressemitteilung verspricht: „Autoscooter-Fun wird zum Kultevent, das von Bewag gepowert wird.“ Soll nicht nur cool klingen, sondern ermöglicht angeblich auch, neue Leute kennen zu lernen. Ich klemme die meiste Zeit zwischen einen Typen mit Pit-Bull-Shirt und einem riesigen Türken fest. Kennen lerne ich niemanden.

Ein paar Meter weiter wartet „ein actionreiches Indoor-Event“: The Nokia-Fridge, „die coole Echtschneerampe“. Ein paar Jungs zeigen mit ihren Snowboards echt krasse Jumps; ich bin froh, sturzfrei den Hügel runter zu rutschen. Der Schnee stammt aus Sölden in Österreich. Extra angeliefert, vermutlich damit die Umwelt ein bisschen Action abbekommt.

„Mitmachen, Anfassen, Ausprobieren“ – das Motto der YOU wird gnadenlos umgesetzt. Bei Clerasil kann man Kontaktanzeigen aushängen (daten), bei der Barmer Ersatzkasse tanzen (dancen). Während die Jungs im Football Experience Park gegen Sandsäcke laufen, gehen die Mädchen eine Halle weiter – vor die Viva-Bühne zum Kreischen. Und für alle gilt: Dabei sein ist alles! Überall muss man aktiv sein, Fun haben, mitmachen. Ansonsten ist man wohl das, was man eine Spaßbremse nennt. Eine Fun-Break wahrscheinlich.

Am wenigsten los ist am Infostand des Bundesministeriums für Arbeit. Ein Sozialarbeitertyp zwingt drei Neuntklässlern ein Gespräch auf. Die sind hibbelig und wissen nur nicht, wie sie höflich den Weg zurück zur Action finden. Ansonsten macht nur ein Promo-Team der Telekom Pause. Wahrscheinlich weil es hier am ruhigsten ist.

Die Musik in den anderen Hallen ist so laut, als handele es sich um eine Messe für Schwerhörige. Weniger als drei Lieder gleichzeitig hört man selten. Über die Musik schreien Moderatoren in ihre Mikrofone. Sie sprechen, als stünde hinter jedem Wort ein Ausrufezeichen. Von Inhalt sind die Sätze dabei vollkommen befreit. Bei „freenet.de“ erzählt ein hüpfender Moderator, was man beim Internet-Shopping alles einkaufen kann: „Coole Spiele, coole Musik, geile Sachen für den Haushalt.“ Hier ist sowieso alles cool, geil oder wenigstens abgefahren. Die Events, die Stars, vor allem die Gewinne. So wie bei Viva-Star Oliver Pocher: „Hier gibt’s jetzt geile, geile Preise!“ Ein Handy für den, der am schnellsten die Zutaten eines Big Mäc vorliest.

Unter der Hand beklagt sich ein Moderator, wie gierig die Jugendlichen hier seien. Und steht fünf Minuten später auf seiner Bühne, um gut gelaunt coole Preise zu verlosen. Die Jugendlichen sammeln lediglich ein, was ihnen hingehalten wird. Und verlassen die Messe mit Tüten, als kämen sie vom Weihnachtseinkauf. Grund genug, alles hier super zu finden. Oder cool, geil, wenigstens abgefahren.

Fragt sich nur: Zeigt die YOU wirklich das, was Jugendliche interessiert? Wo ist der Odol-Knutschraum, die OCB-Kiffer-Ecke, der Aral-Molli-Bastelkurs? Nicht mal Ritex-Fickanleitungen sind zu bekommen. Und auf der ganzen Messe kein Alkohol.

Dabei erinnere ich mich, Samstagabende eher mit dem Leeren von Sixpacks als mit Bungeespringen verbracht zu haben. Zum ersten Mal fühle ich mich wirklich so alt, wie es in meinem Ausweis steht.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass andere jetzt jung sind. Und das Gefühl, der eigene Kopf sei einen Tag lang in Europas größtem Indoor-Flipper die Kugel gewesen. Voll fett!

PHILIP MEINHOLD

Der Autor ist schon 29 Jahre alt.