Die letzte Chance

Riesen-Nahostgipfel beginnt in Ägypten. Vorab herrschte Pessimismus. Dann deutete sich an, dass die Beratungen sich in die Länge ziehen

BERLIN taz ■ Er galt als der Krisengipfel schlechthin. In nur vier Stunden wollten Palästinenser und Israelis gestern im ägyptischen Badeort Scharm al-Scheich jene Probleme lösen, an denen sie vor wenigen Wochen im US-amerikanischen Camp David gescheitert waren: der Frage der Zukunft der 1947 aus Israel verjagten Palästinenser und vor allem der Hoheit über die Muslimen und Juden gleichermaßen heiligen Stätten in Jerusalem.

Das Treffen an der Südspitze des Sinai sei die „letzte Chance für Frieden“, hieß es gestern Nachmittag aus der US-Delegation. Einen „Plan B“ für den Fall des Scheiterns gebe es nicht. Von arabischer Seite hatte es negative Signale gegeben. „Die Zeit der Verhandlungen ist vorbei“, skandierten Palästinenser, bevor PLO-Chef Jassir Arafat gestern sein Flugzeug bestieg.

Bereits am Sonntag hatte der Generalsekretär der libanesischen Hisbullah, Scheich Hassan Nasrallah, die Verschleppung eines weiteren israelischen Soldaten in der Schweiz bekannt gegeben. Er wäre der vierte israelische Soldat, der innerhalb der vergangenen zwei Wochen in die Hände der Hisbullah gefallen ist, und der erste, der in Europa von der von Iran und Syrien unterstützten Schiitenmiliz verschleppt wurde. Der israelisch-arabische Konflikt hätte damit eine neue Dimension gewonnen.

Während die Konfliktparteien gestern an den Konferenztischen die Köpfe zusammensteckten, ging der Aufstand der Palästinenser im Westjordanland und im Gaza-Streifen weiter. Wie viele Opfer die Unruhen an diesem Tag forderten, war gestern Abend nicht bekannt. Ausgelöst hatte die Unruhen der Besuch des Vorsitzenden des oppositionellen Likud-Blocks, Ariel Scharon, vor zwei Wochen auf dem Tempelberg. Israels Premierminister Ehud Barak (Arbeitspartei) hofft nun, den Rechtsaußen Scharon in eine „Koalition der Nationalen Einheit“ integrieren zu können. Den meisten Arabern gilt der General im Ruhestand als Mann des Krieges.

Barak forderte gestern vor seinem Abflug nach Scharm al-Scheich von Arafat die erneute Verhaftung von hunderten Aktivisten der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas. Der Vorsitzende der „Palästinensischen Autorität“ hatte angeordnet, die Gegner eines Friedens mit Israel auf freien Fuß zu setzen, um so die islamistischen Konkurrenten der PLO ruhig zu stellen. In der vergangenen Woche hatten sich zahlreiche Anhänger der Tansim, der Jugendorganisation der von Arafat geführten größten PLO-Fraktion al-Fatah, auf die Seite der Hamas geschlagen.

Wie lange der Gipfel dauern sollte, war bis gestern Abend völlig unklar. Zu Beginn um 11.30 Uhr war von maximal vier Stunden die Rede, dann von 24. Ohnehin war die Zusammenkunft nur auf Druck Clintons und des UN-Generalsekretärs Kofi Annan zustande gekommen. Clinton erklärte vor Konferenzbeginn noch, er werde heute wieder in den USA erwartet – später sagte er, er könne doch noch länger bleiben. THOMAS DREGER