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Sprachliche Grauzonen, schockgefrostet

Elfriede Jelineks neuer Roman „Gier“ ist eine schwierige Übung in Leichtigkeit. Es gibt Hass auf die Verhältnisse, aber auch die spielerische Gestaltung einer Geschichte. Es gibt räsonnierendes Innehalten, aber auch einen Kriminalfall: Eine Leiche wird gefunden, und die Geliebte schöpft Verdachtvon PETRA KOHSE

I.

Beim Lesen dieses Romans plötzlich Zweifel an der Form gehabt. Nicht an der sprachlichen Form, die ist vollendet, sondern an der Hardware, am Medium Buch. Als bildeten die Buchdeckel in diesem Fall ein Bollwerk gegen die Les- oder besser Konsumierbarkeit des Textes. Ja, wahrscheinlich liegt es an dieser regalfertigen Abgeschlossenheit, dass beim Lesen eine vitale Gegenwehr einsetzt und man mit der gleichen Absolutheit, mit der die Autorin die Welt verwirft, auch die Arbeit der Autorin verwerfen möchte. Weil sie doch letztlich keine Ahnung haben wird von dem Dasein zwischen Drogerie und Versandhauskatalog und all den anderen Negativposten ihres Schreibens. Sie da in ihren Designerkleidern und mit diesem kultivierten Halblächeln, das sie aus der nicht unbeträchtlichen Höhe ihres Literatinnendaseins von der Einbandklappe herabschickt. Dann allerdings, wenn das Buch vor der Zeit in der Ecke liegt und man, statt weiterzulesen, in die Drogerie geht, den Versandhauskatalog durchblättert, eine Talkshow im Fernsehen sieht oder die Vermischtmeldungen in der Zeitung durchschaut, sehnt man sich plötzlich doch wieder nach genau diesem Text und wünscht sich, er käme geradewegs hier vor Ort vorbei.

II.

Auf dem Einband von Elfriede Jelineks neuem Roman „Gier“ steht als Untertitel „Ein Unterhaltungsroman“, was natürlich eine Täuschung ist. „Gier“ allein! Dann die großen Lettern in tückischem Rosa-Rot-Lila, die sonstige Schrift abfallend, und natürlich nicht das kleinste Bild darauf (nur das der Autorin, hinten, innen).

Das heißt nicht, dass der Roman über einen steirischen Polizisten, Häusersammler, Triebtäter und Frauenmörder stellenweise nicht unterhaltsam wäre. Auch ist er buchstäblich eine Unterhaltung der Autorin Elfriede Jelinek mit ihren Lesern, die sie von verschiedenen Seiten her immer wieder direkt anspricht, dabei vor ihre Figuren tretend und hinter ihnen wieder verschwindend. Doch vom kommunikativen Aspekt her ist diese Unterhaltung recht einseitig und keineswegs die Art von Zerstreuung, die man sucht, wenn man Zug fährt, am Strand liegt oder zu Hause darauf wartet, dass zur Abwechslung mal ein eigener Gedanke vorbeikommt.

„Gier“ lenkt auch nicht ab vom eigenen Leben, sondern zwingt mit Macht dorthin zurück. Ohne den festen Glauben daran, dass es ein Leben außerhalb dieses Buches gibt, steht man die Lektüre nicht durch. Es ist doch wieder dieser ironisch-imperiale Gestus, mit dem hier Versatzstücke aus Werbung, Amtssprache, Nachrichtenprosa, politischer Rede, Talkshow-Beichten und Pornografie aufgespießt und wortspielerisch in der kalten Höhe der spezifischen Jelineksuada schockgefrostet werden. Und noch immer ist dieser Stil so brillant in der Entlarvung begrifflicher Grauzonen oder Schnittmengen wie eben auch entkräftend in seinem vorwurfsvollen Furor. Jeder, der irgendwann einmal Kosmetik benutzt, an den Kauf eines Mountainbikes gedacht, Plateausohlen getragen oder einen Ausflug gemacht hat, wird metaphernreich, aber letztgültig als Konsumtrottel, Naturvernichter oder Volksverdummter verbucht. Gleichzeitig und darüber hinaus ist dieses Buch anders als etwa „Kinder der Toten“ (1995) und gemessen an den Verhältnissen tatsächlich eine schwere Übung in Leichtigkeit, womöglich Unterhaltung. Denn diesmal gibt es neben dem wortstarken Hass, mit dem sich die Erzählerin gegen die Verhältnisse wehrt, auch die spielerische Freiheit, eine fortlaufende Handlung zu präsentieren. Sprunghaft und Haken schlagend, mit vielen Pausen, Brüchen und Ausflüchten zwar, aber eben doch eine Geschichte offensiv gestaltend.

„Es ist schwierig, über das Normale zu sprechen. Über den Lampenschein, der die Dunkelheit davonbläst, den Fernseher, der den Trübsinn davonscheucht, die Gespräche am Familientisch, die knurrend den Geist verjagen, die Kleidung, die die schlecht geformten Körper der Menschen verbirgt oder manchmal auch solch ein kompaktes hausgeschnitztes Kunstwerk wie Kurt Janisch, den man glatt im Heimatwerk ausstellen könnte, wäre er nur etwas heimeliger, oder eben über einen Bauplan, der nachträglich sein eigenes Haus verwirft, könnte ich endlos reden, ach wie schön ist das alles, denn man kann an sich und anderen immer fleißig arbeiten. Und wie glücklich bin ich doch, dies alles hier sagen zu dürfen. Danke vielmals für alles.“ Kurt Janisch ist der Gendarm im steirischen Mürzzuschlag (wo die 1946 geborene, jetzt in Wien und München lebende Autorin selbst herkommt). Ein sportliches FPÖ-Mitglied mittleren Alters, unterdrückt homosexuell, verheiratet, ein Sohn, Hausbesitzer dank der Heirat einer hausbesitzenden Frau. Das ist ihm nicht genug. Seine Amtsvollmachten ausnutzend, nimmt er sich – nicht zum ersten Mal – eine allein stehende hausbesitzende Frau reiferen Alters vor, der er dank einer offenbar grenzenlos Potenz einen sexuellen Spätfrühling beschert, für den sie sich mit der Überschreibung des Hauses bedanken soll. Dabei kommt ihm aber auch ein Verhältnis mit einer Sechzehnjährigen unter, das nicht nur finanziell unergiebig, sondern bald auch unbequem ist. Er bringt das Mädchen um und versenkt sie im örtlichen See. Die Leiche wird gefunden, die Geliebte schöpft Verdacht.

Ein Kriminalthema, das Jelinek zu einem selbstredend zynischen Versuch über eine Gesellschaft ausbaut, in der alles Denken der Besitzstandswahrung und -vermehrung enstpringt und in ihr mündet. Alles Denken außer dem der gebildeten, emotional bisher aber zu kurz gekommenen Frau um die fünfzig wohlgemerkt. Die nämlich, die Geliebte (und mit ihr alle anderen dieses Rollenfaches), wird in den absurdesten Farben und glibberndsten Formen als Modernisierungsverliererin beschrieben, die sich permanent verausgaben und verschenken will: „Sie gebärdet sich vor Vergnügen, das doch erst kommen soll, wie wahnsinnig. Sie ist kaum zu bremsen. Da reicht sie ihm also als erstes ihre Fleischlaibchen in der Schüssel ihrer beiden Hände ...“ Immerhin, sie kommt zwischenzeitlich zu einer Art von Vernunft.

Gegen Ende des vierhundertsechzigseitigen Buches, wenn die Figur der Autorin allmählich Spaß an der Auffindung der eigenen Geschichte und an der Aufklärung des Kriminalfalles bekommen hat und statt ständig räsonnierend innezuhalten auch zügig voranschreitet, bricht sie plötzlich nach einer anderen Seite aus und faltet über der Figur der missbrauchten Geliebten, Gerti, in raschem Wechsel einen autobiografischen Schlüsselroman, eine politische Allegorie und ein Rührstück auf und zu. „Es war ein Unfall“, heißt es am Ende, wenn Gerti tot ist und es wieder keiner gewesen sein will.

III.

Dass Elfriede Jelinek im Elfenbeinturm lebt, stimmt natürlich nicht. Ein Besuch auf ihrer Homepage (ourworld.compuserve.com/homepages/elfriede) kann einen sofort vom Gegenteil überzeugen. Auch die vorwurfsvolle Radikalität, mit der sie Frauen früher als Opfer mythisiert hat, ist in diesem Buch einer spielerischen Anteilnahme gewichen, mit der sie sich sämtliche Deutungsebenen offen hält. Die stilistische Höhe, von der aus sie das Beschriebene dreht und wendet, täuscht eine geistige Distanz hier nur vor. Der neue Roman vermittelt mehr Wirklichkeitsdeckung als die vorigen, und vielleicht ist das der Grund, weswegen man ihn gerne in der natürlichen Umgebung der Quellen zur Kenntnis nähme, aus denen er sich speist. (Wo er nebenbei auch die Leute antreffen könnte, die er meint mit den Skifahrern und Bergwanderern, den Ausflüglern und Müttern von sechzehnjährigen Töchtern.) Vielleicht liegt es aber auch an der wirklichkeitssimulierenden Arbeit von Christoph Schlingensief – die Elfriede Jelinek schätzt und unterstützt –, dass man der Kunst in ihrem bisherigen Rahmen nun immer häufiger zu misstrauen beginnt. Schlingensief und Jelinek, hier der Sponti, da die Großkünstlerin –, beiden gemeinsam ist die Überzeugung, dass Wirklichkeit nicht einfach geschieht, sondern gemacht wird.

Elfriede Jelinek: „Gier“, Rowohlt Verlag, Reinbek 2000. 462 Seiten, 45 DM

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