Dream a little dream ...

■ Im Schlaf produziert Berthold Vox Bilder. Im Kunstverein Humboldt-Schlüter sind sie zu sehen

Rrrumms – und der schwere Trompetenkasten landet haargenau auf dem Fressgebälk des blöden Typen. Selbst schuld, denkt sich da Berthold Vox, „was bietet der mir auch Kokain an“. Denn wer Bert-hold Vox mit Drogen kommt, dem kommt Berthold Vox mit schweren Trompetenkästen.

Noch passiert das nur im Traum. Aber immerhin verschaffen diese Träume Berthold Vox das „wunderbare Gefühl, dass ich mich endlich wehren kann.“ Dabei hat er mit Trompetenkästen nichts am Hut. Und mit Drogen auch nicht – nicht mehr.

Vor wenigen Jahren war das noch anders. Gramm um Gramm Kokain rutschte da durch Berthold Vox' schmale Nase. Bei den Drogenhändlern Groningens und Amsterdams war er Stammgast. Als „Kokshure“ vermittelte Vox zum Preis der nächsten Dröhnung zwischen Junkies und Dealern, landete für einige Monate im Knast, kurzum: flog auf weißen Wölkchen dem frühzeitigen Abschied von dieser Welt entgegen.

Die Reise endete eines nachts abrupt in Apeldorn, einem kleinen Dörfchen bei Meppen. Berthold Vox irrte durch den Wald seiner Kindheit und umarmte einen Baum. Der Baum war warm, und die Pflanzen drumherum neigten zärtlich ihre Äste über den jungen Mann, der da hockte und hemmungslos weinte. Kurz darauf stand Berthold Vox im Wohnzimmer seiner Eltern und sagte: „Ich kann nicht mehr.“

Seitdem kann Ich wieder was. In einem Kindergarten in Blumenthal arbeitet er als kunstpädagogischer Betreuer, und wann immer es geht, malt er Bilder. Berthold Vox ist Künstler, nicht erst seit seinem Drogenentzug vor vier Jahren. Vermutlich hat jeder zweite Amsterdamer Dealer einen echten Vox an der Wand hängen. Wenn das Geld knapp wurde, zahlte der 36-jährige Autodidakt seinen Stoff per Ölgemälde. Das Geld war oft knapp, aber die gemalte Währung wurde akzeptiert.

Was Dealern gefällt, sollte dem Rest der Welt nicht gleichgültig sein. Im Kunstverein Humboldt-Schlüter, wo sich allabendlich zu einem flüssigen Hefeteilchen jene treffen, die für ein blasiertes Galerie-Gespräch bei einem perlenden Gläschen Kunsthistoriker-Sekt nicht einmal Verachtung übrig haben, zeigt Vox 20 neue Arbeiten. An die Stelle der Ölfarbe ist in den letzten Jahren die Pastellkreide getreten, „weil mich schon der Geruch der Farbe immer an die Drogen erinnert hat.“ Einen Pinsel braucht Vox auch nicht mehr, denn er trägt die zerbröselte Kreide mit den Händen auf das Velourpapier auf, nachdem er zuvor eine halbe Stunde lang meditiert hat. Warum? „Weil ich mich dann im Eigenlicht sehe und der Flow so durch mich strömt, dass ich mit der Farbe gut umgehen kann.“ Mancher würde es vielleicht anders ausdrücken. Aber warum nicht; man ahnt, was gemeint ist.

Wenn aber Berthold Vox ein Bild „Der Waise der Farben ihre Kleider“ nennt, ahnt man das nicht mehr. Auch die beigefügte schriftliche Erläuterung, dass sich „stellenweise Lichter autodidaktischer Kräfte, die mir vorher verborgen blieben, veränderten“ und er nichts anderes versucht habe, als „die Ausstrahlung des Menschen im positiven Wellenbereich darzustellen“, hilft nur bedingt weiter. Doch wenn schon der Text nicht deutlich spricht, die Bilder tun es durchaus: Frei von jeder abstrakten Anwandlung malt Vox auf hohem technischem Niveau üppige Naturlandschaften und Porträts junger, zumeist sehr schöner, zumeist sehr abwesend dreinblickender Frauen.

Ihnen allen gemein ist, dass sie regelmäßig zu Gast sind in Bert-hold Vox Träumen. Vox ist nämlich ein Traumvirtuose: Jede Nacht laufen Geschichten durch seinen Kopf, „so spannend, dass ich meinen Fernseher bereits abgeschafft habe“. Auf hundert Träume kann er inzwischen mühelos zurückgreifen, träumt sie gezielt weiter und malt anschließend „das Ende aufs Papier.“ So ist auch „Zwei Frauen im Galerieschloss der Erkenntnisse“ entstanden, das eine fröhliche und eine sehr ähnlich aussehende traurige blonde Frau in einer Galerie zeigt, in der Vox' Bilder hängen und in der sich zugleich ein Unwetter anbahnt. Die verträumt-profane Erklärung für das surreal anmutende Bild folgt auf dem Fuß: „Die Frau ist traurig, weil sie an ihren drogenkonsumierenden Freund denkt – und an das schlechte Wetter“, sagt Vox.

Das kann man wohl so sehen. Man kann aber auch das Vox'sche Lebensmotto zu Rate ziehen, das da lautet: „Jedes Ding hat zwei Seiten. Ab der dritten wird's erst interessant.“ Berthold Vox hat mehr als zwei Seiten. Seine Kunst auch.

zott

Die Ausstellung „Pastellzauber“ ist im Kunstverein Humboldt-Schlüter (Humboldtstr. 67) bis zum 26. November zu sehen. Öffnungszeiten: Mo-Sa ab 18 Uhr, So ab 20 Uhr. Infos: Tel.: 75 033. Von jedem verkauften Bild wird Vox den Erlös an das bolivianische Straßenkinderprojekt „Tres Soles“ spenden, das vom Schweizer Ex-Drogi Stefan Gurtner gegründet wurde und drogenabhängigen Straßenkindern in La Paz eine Perspektive bietet.