Luxus und Lumpen

International Glam: Die fünfte Ausgabe der Künstlerzeitschrift „01“ widmet sich „Kunst und Mode“. Das von Manuel Bonik und Undine Goldberg konzipierte Luxus-Medium kostet 2.500 Mark und bietet einen aktuellen Überblick über eine alte Konjunktur

von YVES ROSSET

Es ist Herbst, und wie in Mailand, Paris oder New York wurde auch in der Berliner „Pictureshow“-Galerie ein Laufsteg aufgebaut. Auf dem kann der Besucher – für einige Augenblicke in ein Mannequin verwandelt – hin- und hergehen und dabei die fünfte Ausgabe der Künstlerzeitschrift „01“ betrachten. Die einzelnen Seiten wurden mit Acryl versiegelt und hängen in einer Reihe entlang des Laufstegs wie Wäsche an der Leine. Eine ungewöhnliche Präsentation, die darum bemüht ist, das Thema von „01:#5 – Kunst und Mode“ formal zu übersetzen.

„01“ wurde 1998 von dem Künstler und Autor Manuel Bonik als Kunstprojekt initiiert. Wie früher schon sein Mentor Dieter Roth, hält auch Bonik die Form der Zeitschrift für ein ideales Medium der Kunst, in dem sich möglichst viel Substanz unterbringen lässt. Mit Ausnahme der ersten Nummer realisierte Bonik alle bisherigen Ausgaben in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern. Während „Echoes“, so der Titel von „01:#3“, ein Kunst-am-Bau-Projekt von Stefan Banz dokumentierte, präsentierte die von Rémy Markowitsch mit Zeichnungen illustrierte „01:#4 – 01 meets Schaschlik“ zahlreiche Auszüge aus der Literaturgeschichte, die das Fleischfresser-Dasein des Menschen thematisieren.

Co-Herausgeberin der aktuellen Nummer ist die Künstlerin Undine Goldberg, die sich in ihrer Arbeit seit Jahren hauptsächlich mit dem Thema Mode beschäftigt. Als Goldberg und Bonik vor zwei Jahren anfingen KünstlerInnen, KuratorInnen und AutorInnen zu fragen, ob sie Interesse hätten, Beiträge für ihr Projekt zu liefern, kamen die positiven Antworten so zahlreich wie Schnäppchenlustige am ersten Tag des WSV. Das Crossover zwischen Kunst und Mode hat nach wie vor Konjunktur.

Das hat nicht nur damit zu tun, dass Kunst auf die Modefotografie rückwirkt, wie es Michelle Nicol in einem kurzen Essay untersucht. Mode ist seit den 70ern – in der Folge feministischer und genderorientierter Reflexion – „ein gutes künstlerisches Werkzeug, um politische, ökonomische, gesellschaftliche oder fetischistische Zusammenhänge aufzuzeigen“, wie Sylvie Fleury in einem Interview mit Christoph Doswald feststellt. Damit liefert sie auch das theoretische Schnittmuster von „01:#5“.

„01:#5“ als Zeitschrift zu bezeichnen ist nicht ganz zutreffend. Denn eigentlich gehört zu Zeitschriften, dass man in ihnen blättern kann. Um derart triviale Formen der Kunstbetrachtung zu vermeiden, liegen die Beiträge ungebunden mit jeweils zwei kleinen Kunstobjekten in einer Plastikhülle zusammen, die sorgfältig verschweißt wurde. Hermetischeres Design zum Schutz der künstlerischen Aura gibt es nicht. Dafür funktioniert das Ganze perfekt als elegantes Multiple (Auflage 100, Preis: 2.500 Mark) und tragbare Mini-Ausstellung zugleich.

Wichtiger als das Produkt selbst scheinen ohnehin die begleitenden PR- und Marketingmaßnahmen zu sein: Nach Berlin soll „01:#5“ auf internationale Tournee gehen. Der Veränderungspflicht der Mode zufolge soll dabei jedesmal eine neue Ausstellungsform entwickelt werden. Ein Programm, das sowohl der Breite der kuratorischen Arbeit und der zunehmenden Nomadisierung der Kunstwelt als auch der genuinen grenzüberschreitenden Verteilung modischer Phänomene gerecht wird: „Das Thema wurde von allen botschaftigen Seiten begrüßt“, erklärte Bonik bei der Pressekonferenz.

Auch inhaltlich wird „01:#5“ mit seinen circa 100 Beiträgen der Vielfältigkeit des Themas gerecht. Die Fotografin Andrea Stappert etwa hat ein Bild der Galeristin Samia Saouma in einem echten Mondrian-Kleid von Yves Saint-Laurent aus den 60er-Jahren geliefert und erinnert damit an den mimetischen Spürsinn des Zaren der Pariser Haute Couture gegenüber bildenden Künsten. Auch die unaufhaltsame Verbreitung von militärischen Tarnmustern, die wiederum auf mimetische Prinzipien beruhen, hat viele Arbeiten inspiriert.

Das „Diktat“ der Mode thematisiert der Zürcher Aristokrat Dieter Meier in einem Text, den er in Los Angeles verfasste. Dort scheint es mit der „Ratlosigkeit der Sinnstiftung“ so weit zu sein, dass „jede Truppe auf ihre Marke schwört und Schutz und Sicherheit in einem Konsumkampf erwartet, der sie alle im Massengrab der organisierten Stilanonymität enden lässt“. Ein globalisierter Kampf der Markenghettos also, der auch die Maschinengewehre inspiriert haben könnte, die Antonio Riello mit Jaguar-Motiven, poppigen Farben oder grell gelbem Stoff schmückte und auf Namen wie „Assault rifle Mod. Jolanda Cal 7,62 mm“ taufte.

Davon, dass nicht nur die Frau fashion victim ist, erzählt Thomas Kapielski: „Als vorpubertär kam das Klamottentrauma über mich“, erinnert sich der Dichter in einem kurzen Bekenntnis. Später erschien ihm „die Modeverweigerungsmode“ wie ein Befreiung. Ein rebellischerTrend, der allerdings immer noch erfolgreich zu sein scheint: „A Bas la mode!“ fordert Thomas Hirschhorn und schmückt die Models von Calvin Klein oder Boss mit riesigen blutroten Tränen, die er mit Kugelschreiber hingekritzelt hat.

Gründe zu weinen gibt es genug: „Weltweit arbeiten circa 10 Millionen Kinder in der Bekleidungs- und Textilindustrie“, erinnert der Beitrag von Cyriax/Michel/Steiner. Und während Eran Schaerf auf die unheimliche Ähnlichkeit zwischen einer Anzeige für ein Hermès-Tuch und der Fotografie einer verschleierten Frau weist, hat Florence Manlink magersüchtige Models gezeichnet, wobei die Motive der Kleider wie Innereien aussehen.

Es geht auch leichter und spielerischer. Pipilotti Rist hat eine kleine Papiertüte mit der Inschrift „100 gr. Einverständnis“ geschickt, während Wolfgang Müller unter dem Titel „Cul de Arnayitapi“ isländische Steine mit zerbrechlichen Füllerzeichen überzogen hat, als Erinnerung an den „Cul de Paris“, ein um die Jahrhundertwende unter dem Kleid getragenes Gesäßpolster.

Besser als mit dem damaligen Begriff vom Lumpenproletariat wurde das klassenbedingt Zwanghafte der Mode bis heute nicht formuliert. Demokratisch existiert sie tatsächlich nur als Wunschobjekt. In den Schaufenstern darf sie zwar von allen gesehen werden, erworben wird sie aber nur von einigen. Ein wirtschaftlich elitäres Schicksal, mit dem auch die Kunstproduktion überleben muss.

Es kann also sein, dass Bonik und Goldberg mit ihrer parallel zur Ausstellung organisierten Präsentation von „01:#5“ in den Vitrinen des Maison de France in der Uhlandstraße auf diese marktbedingte Verwandtschaft zwischen Kunst und Mode aufmerksam machen wollten. Zugleich werben die benachbarten Auslagen auf dem Kurfürstendamm immerhin mit Namen wie Pavillon Christofle, Louis Vuitton, Cartier und Chanel für la fine fleur französischer Modetradition. Ein dialektischeres Zusammentreffen hätte es kaum geben können.

Bis 29.10, Di.–So., 14–21 Uhr, Pictureshow, Oranienburger Straße 27; Vitrinen des Institut Français, Kurfürstendamm Ecke Uhlandstraße