Wenn man keine Wahl hat

aus Abidjan HAKEEM JIMO

„Die Welt ist uns egal. Und die Meinung der anderen afrikanischen Staaten interessiert uns auch nicht – hier ist die Elfenbeinküste“. Akes Sprüche sind markig. Und das müssen sie wohl auch sein. Denn die kraftstrotzenden, jungen Männer um ihn herum wollen wissen, wo es langgeht. Denn außerhalb der Wände dieser Jugendorganisation ist das Leben vertrackt: berufliche Aussichten sind vergessene Vokabeln aus einer besseren Zeit der Elfenbeinküste. „Hier gibt es wenigstens etwas zu tun, und hier können die Jungs für General Guei auf die Wahlkampftrommel schlagen – der einzige, der uns aus diesem Schlammassel rausholen kann.“ Die jungen Männer mit ihren Robert-Guei-Baseballmützen nicken zustimmend. Hier treffen sich die Jugendlichen, die für den amtierenden Militärmachthaber auf die Straße gehen – und für seine Wahl am Sonntag.

Dabei wird Brigadegeneral Robert Guei sowieso Präsident – dafür hat er bereits gesorgt. Seine Präfekten sitzen an den Schalthebeln des Landes. Die Verfassungsrichter sind ihm hörig. Sie waren es, die 14 der 19 Präsidentschaftskandidaten nicht zuließen, darunter die wichtigsten Oppositionsführer.

Die Wahl ist zu einer Farce geworden. Die Wahlbeobachter der UNO haben bereits das Land verlassen oder kommen gar nicht erst. Jetzt werden Soldaten ihre Arbeit verrichten. Wahlurnen werden in Kasernen aufgestellt. Ausnahmezustand, nächtliche Ausgangssperre, Straßensperren. Die staatlichen Rundfunk- und Fernsehhäuser von RTI sind abgeriegelt wie Straflager: Stacheldraht ist ausgerollt, Soldaten haben sich hinter Sandsäcken mit schweren Maschinengewehren verschanzt.

Dennoch sagen Sikahué (26) und Philippe (30) nicht, dass Guei, der sich Weihnachten 1999 an die Macht putschte, undemokratisch handelt. „Der General ist hart, aber das ist es, was das Land jetzt braucht.“ Dies dem Volk glaubhaft zu machen, ist die Aufgabe der beiden. Seit drei Monaten sind sie Mitglieder der Jugendorganisation, die einzig für diese Wahl gegründet wurde. Sie soll das Wahlvolk mobilisieren, denn hinter General Guei steht keine eigene Partei. Auf den Plakaten, die den General zeigen, steht, seine Partei sei das Volk. Ein schlechter Witz, denn mit dem Ausschluss der Kandidaten der beiden größten Parteien sind über 80 Prozent der Wähler ihrer Wahl beraubt.

Die Wahl scheint wenig zu interessieren. Man ist erleichtert, dass es seit ein paar Monaten zumindest keine Meutereien und Plünderungen gegeben hat. Nur wenige Wahlplakate hängen an den Litfasssäulen und Mauern. Neben General Guei leistet sich nur ein weiterer Kandidat farbige Plakate. Die anderen drei begnügen sich mit Schwarzweißabzügen. Keiner der Kandidaten hat wirklich Geld – auch der Staat nicht, seitdem die internationale Gemeinschaft aufgrund der unlauteren Wahlbedingungen Gelder gestrichen hat.

Es herrscht Rezession. Zum erstenmal in der Geschichte des weltgrößten Kakaoproduzenten sind Beamten-Gehälter nicht mehr sicher. Eine Schmach für die ehemalige französiche Kolonie, die immer als Vorzeigeland im frankophonen Afrika galt. Der Kakaopreis befindet sich auf einem Rekordtief, beim Kaffee sieht es nicht viel besser aus. Banken verzeichnen seit dem Putsch einen Geschäftsrückgang von 40 Prozent. Fabriken werden geschlossen, der Hafen ist nicht ausgelastet.

Funktionäre der Jugendorganisation versprachen Sikahué und Philippe, dass nach der erfolgreichen Wahl von Guei Projekte und Firmen gegründet würden, die vor allem jungen Menschen wie ihnen helfen würden. Bis dahin schlagen sich der Kaufmannslehrling und der Jurist so durch. Sikahué nimmt Tagesjobs an und wohnt bei seinem Bruder in einer Zweizimmerwohnung. Philippe verdingt sich an der Rezeption einer Versicherungsfirma.

Vollgeklebt mit Guei-Postern und manchmal einem Megaphon auf dem Dach kurven sie durch die Stadt. Sie hängen aus den Seitenfenstern und schreien den interesselosen Passanten „Robert Guei“ entgegen – das einzige, was in diesen Tagen an der Elfenbeinküste noch an Wahlkampf erinnert, sind die hupenden Autokolonnen der Jugendlichen. Politische Diskussionen gibt es kaum. Guei selbst ist bislang nur ein einziges Mal öffenlich aufgetreten. Zu Wahlveranstaltungen schickt er andere. Was er will, wissen auch seine jugendlichen Unterstützer nur vage. Guei will die Elfenbeinküste wieder so erblühen lassen wie zu der Zeit, als der Kakao noch Geld einbrachte und mondäne Hochhäuser in Abidjan gebaut wurden.

Manchmal fahren die Mitglieder von Sikahué und Philippes Truppe in die Nähe des Hauses des Oppositionsführers Alassane Dramane Ouattara. Am 7. Oktober wurden er und 13 andere Kandidaten von der Präsidentschaftswahl ausgeschlossen. Angeblich sei sein Vater oder seine Mutter nicht ivorischer Nationalität und er selbst früher als Bürger des nördlichen Nachbarlandes Burkina Faso aufgetreten. Unerheblich, dass Ouattara einst Premierminister der Elfenbeinküste war. Trotz des Ausschlusses bleibt Ouattara ein gefährlicher Rivale für Robert Guei – und damit Zielscheibe von Leuten wie Sikahué und Philippe. Die Straße zum Haus von Ouattara ist abgeriegelt. Näher kommt nur, wer von den Aufpassern für bedenkenlos erklärt wird. Hinter dem selbst gezimmerten Schlagbaum beginnt exterritoriales Gebiet: Bislang haben sich Polizei und Militär nicht getraut, die Sperre zu stürmen.

Einer der Wächter ist Cissé. Als er davon hörte, dass Ouattara Schutz braucht, hat er seine Arbeit als Schreiner ruhen lassen und ist hierhergekommen. Das sei jetzt einen Monat und sieben Tage her, sagt er. Tag und Nacht wacht er mit rund 150 Frauen und Männern unter Planen, die sie entlang der Straße aufgeschlagen haben. Auf offenem Feuer köcheln Mahlzeiten, die Ouattara, der vermögende Exvize des Internationalen Währungsfonds, spendiert hat. Geld gibt es nicht, sagen die Wächter. Sie seien freiwillig hier. „Wenn es sein muss, bleibe ich hier 10 Jahre – aber Ouattara bekommen sie nicht“, sagt Cissé.

Nahezu alle, die vor der Residenz von Ouattara ausharren, stammen aus dem islamischen Norden – und sind damit dem christlichen Süden verhasst. Und das Regime schürt noch die Ängste vor Überfremdung. 40 Prozent der rund 15 Millionen Einwohner der Elfenbeinküste stammen aus anderen Ländern, allein vier Millionen Menschen aus Burkina Faso. Zumeist arbeiten die Burkiner auf Farmen – schlecht ausgebildet und schlecht bezahlt. Eigenes Land dürfen sie an der Elfenbeinküste nicht erwerben – eigentlich. In San Pedro starben bei Übergriffen auf Burkiner mehrere Dutzend Menschen – manche Einwanderer hatten doch Land gekauft.

Sie werden von Soldaten und Polizisten drangsaliert. Sie sind die ersten, die ihren Job verlieren. Ihre wenigen Rechte werden unterlaufen. „Wir müssen jetzt als die Sündenböcke herhalten. Dabei wollen wir doch gar nichts mit der Politik zu tun haben“, sagt der Burkinaer Ambroise Bamouni (43). Ambroise hat seinen Job als Buchhalter vor zwei Jahren verloren. Seither versucht er, seine Frau und drei Kinder mit Tagesarbeiten über Wasser zu halten. Nun ist er in die „Faso Solidarité“ eingetreten, einer vor zehn Monaten gegründeten Vereinigung für Exilbürger Burkina Fasos.