Adel verpflichtet nicht

Vom Himalaya über die USA ins Berliner Dachgeschoss: Seit Carmen von Samsons Debütroman „Eine Invasion von Frauen“ erschien, geht es im Leben der Autorin drunter und drüber. Ein Porträt

Adlige sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Dabei fing das Leben der heute 37-jährigen Carmen von Samson an wie ein Märchen aus 1001 Nacht. Ihr 2. bis 9. Lebensjahr verbrachte sie in einem kleinen indischen Himalayadorf, wo ihr Vater als Entwicklungshelfer Obstplantagen anlegte. Wenn die kleine Carmen nicht mit ihrem Bruder und dem Feuer spielte, drückte sie die Bank in der Schule des örtlichen Maharadscha. Manchmal ganz allein. Und zu Hause wurde sie vom Personal verwöhnt. Es war ein fürstliches Leben. Dass sie einmal schreiben würde, stand früh fest. „Mit acht Jahren hockte ich im indischen Busch und las das den Trivialroman ,Die rätselhaften Frauen‘“, erinnert sich Carmen von Samson 30 Jahre später in ihrer Charlottenburger Dachgeschoss-WG an diesen ersten Wendepunkt.

Weitere Spuren haben die indischen Jahre auf den ersten Blick nicht hinterlassen. Der erste Roman der Dolmetscherin und Übersetzerin heißt „Eine Invasion von Frauen“ und hat mit der trivialen Buschlektüre der Kindheit lediglich das Thema der verbotenen Liebe gemeinsam. Das große Wohnzimmer dominieren eher die chinesischen Mitbringsel der Mitbewohnerin und das freigelegte dunkle Gebälk des Dachstuhls.

Auch die Person mit der hellen Haut, dem strohblonden Pagenkopf und den ausgeprägten runden Formen auf dem blauen Sofa mag man sich nur schwer als kleines Kind im Himalaya vorstellen. Nicht nur wegen äußerlicher Ähnlichkeiten hat Carmen von Samson die Präsenz der Kabarettistin Hella von Sinnen. Sie lacht oft und herzhaft. Und sie verbindet gute Erziehung und Charme mit Schlagfertigkeit.

„Seien Sie mal ehrlich, würden sie jetzt lieber den Po Ihres Kindes abwischen, als sich hier mit mir zu unterhalten?“, entgegnet sie auf die Frage nach der zweiten wichtigen Wende in ihrem Leben. Die kam vor sechs Jahren, als sie sich entschied, nicht zu heiraten. Sie wollte nicht die Frau an der Seite eines erfolgreichen Managers in einer Vorstadtvilla mit niedlichen Kindern werden. Das wäre für sie nur falsch gelebte Solidarität mit den Werten und Normen ihrer adligen Herkunft gewesen. Zehn Jahre in den USA bis zum Abitur und das Germanistik- und Geschichtsstudium in Bonn und Berlin „haben mich an den klassischen Stationen des Lebens wie Heirat und Familie vorbeigeführt“, sagt Carmen von Samson heute. Ein Jahr hatte sie mit der Trennung vom Freund zu kämpfen. „Ich war erst sehr unglücklich, aber dann wusste ich, dass es richtig war.“

Danach entstehen Beiträge im Internet-Literatursalon www.ampool.de und jetzt endlich das eigene Buch: 276 fesselnde Erinnerungsschnipsel einer Ich-Erzählerin, die gern mit ihrem Vater, einem Adeligen und Schürzenjäger, über dessen Geliebte sprechen würde. „Mein Leben hat sich seit drei Wochen auf den Kopf gestellt“, sagt sie. Seit nämlich jeder, der sie kennt, in ihrem literarischen Debüt die Geschichte der blaublütigen Carmen von Samson und ihrer Familie zu lesen glaubt. Dabei dürften ihr Vater und der Frauenheld im Buch nur insofern Ähnlichkeit haben, als es für beide Männer Dinge gibt, über die man garantiert nicht spricht. Zum Beispiel Sex. Den man nicht mit der eigenen Frau hat.

„Ich habe mir die Freiheit genommen, in meinem Leben zu wildern, aber das Buch ist keineswegs eine Dokumentation“, erklärt Carmen von Samson. „Meine Geheimnisse sind immer noch meine Geheimnisse.“ Tatsächlich stellt man sich unter der Ich-Erzählerin eine ganz andere Frau vor, als die, die wenn sie über Fragen nachdenkt, die Beine fest nebeneinanderstellt, den Oberkörper mit den Armen auf den Knien abstützt und die vielen goldenen Ringe samt Siegelring an den Fingern hin und her schiebt. Sie ist nicht die superschöne blonde Romanfigur, auf die alle Männer fliegen, nicht die Frau, die ständig raucht und viel trinkt. Vielmehr sieht man die höfliche Schreiberin eher auf einem Fest des „Verbands baltischer Ritterschaften“, dem ihre Familie angehört, und wo die Frauen der Ritter hinter ihrem Rücken tuscheln: „Arme Carmen, Mitte 30 und noch keinen Mann. Und dann ist sie auch noch so dick.“ Wieder eine dieser garantiert wahren Geschichte aus ihrem Leben.

PETRA WELZEL

Heute abend liest Carmen von Samson im Roten Salon der Volksbühne um 22.30 Uhr, sowie am 19. November im Theater des Westens, 11 Uhr