NGOs als Trostpflaster

Nichtregierungsorganisationen sind in der Dritten Welt zum wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Selbst für den Internationalen Währungsfonds gilt: NGOs passen nahtlos in sein neoliberales Entwicklungsmodell

von TONI KEPPELER

Wenn jemand Geld brauchte in El Salvador, war Hato Hasbún lange eine gute Adresse. Fünfzehn Jahre hat der Mann im Umfeld von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Entwicklungsagenturen und Botschaften gearbeitet. Zuletzt in einer Meta-NGO, einer Organisation, die selbst gar keine Entwicklungsprojekte betreibt. Sie vermittelt nur zwischen Geldgebern und Initiativen vor Ort. Und das auf zentralamerikanischem Niveau. Millionen US-Dollar werden Jahr für Jahr in ihren Büros verschachert. Ein paar Prozent bleiben als Honorar für die Vermittlungsdienste hängen. Hasbún weiß genau, was Geldgeber aus Industrienationen gern in Projektanträgen lesen. „Drei Worte müssen enthalten sein: Partizipation, die Genderfrage, Armutsbekämpfung.“ Dann gibt es Geld. Fast immer. Vor ein paar Monaten hat Hasbún frustriert gekündigt. Letzter Auslöser war eine NGO-Konferenz mit Indígena-Organisationen in einem Luxushotel. Auf den Tischen standen Whiskyflaschen einer Edelmarke. Am Ende lagen einige Indígenas unter den Tischen.

Mit diesem Modell gibt es keine Entwicklung“, sagt er, sondern immer mehr NGOs. Um rund sechs Millionen Salvadorianer kümmern sich bereits jetzt fast 2.500 solcher Organisationen. „Trotzdem sind die Leute nachweislich ärmer geworden und haben weniger politischen Einfluss.“

Zwei der drei magischen Worte tauchen nun auch in Strategiepapieren des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf: Partizipation und Armutsbekämpfung. Die Institution springt damit auf den Zug, den Entwicklungsagenturen seit rund zehn Jahren fahren. In einem Papier über „Soziale Dimensionen der IWF-Politik“ vom März dieses Jahres etwa heißt es, dass Anpassungsprogramme zur makroökonomischen Stabilität „immer auch eine Politik für die Armen und für sozialen Ausgleich enthalten“ müssen. Gefordert wird „mehr Öffnung und partizipative Politik, die den IWF mit verschiedenen Elementen der Zivilgesellschaft in Verbindung bringt“. NGOs werden dabei ausdrücklich erwähnt.

Besonders deutlich wirkt sich die neue Politik in der bereits 1996 gestarteten sogenannten HIPC-Initiative aus. Hoch verschuldeten armen Ländern (Heavily Indebted Poor Countries, kurz HIPC) wird darin ein teilweiser Erlass ihrer Auslandsschulden in Aussicht gestellt. Aus Zentralamerika wurden Honduras und Nicaragua, die beiden vom Wirbelsturm Mitch Ende 1998 besonders verheerend betroffenen Länder, in die Initiative aufgenommen.

Doch der finanzielle Gnadenakt des IWF ist nicht umsonst zu haben. Die kürzlich aktualisierten Ausführungsbestimmungen der HIPC-Initiative verlangen von den beteiligten Ländern ein „Armutsreduzierungs-Strategiepapier“, das „unter Einbeziehung eines breiten Spektrums der Zivilgesellschaft“ und „unter voller Beteiligung der Armen“ erarbeitet werden müsse. Wie bisher schon in der internationalen Kreditpolitik will der IWF nun auch bei der Armutsbekämpfung die Leitwolffunktion übernehmen. Denn das Papier soll auch für andere internationale Geldgeber zum Grundlagendokument der Entwicklungshilfe werden.

Dahinter steckt der Gedanke, dass die von unzähligen staatlichen und privaten Geldgebern geleistete Entwicklungshilfe nicht mehr in Einzelprojekten verkleckert, sondern zum Wohl eines gemeinsamen Ziels koordiniert eingesetzt werden soll. Damit würde zudem mehr Gerechtigkeit geschaffen als durch das bisherige Nebeneinander.

Die Erfahrung zeigt, dass über die Regierungen Zentralamerikas abgewickelte Entwicklungshilfe gern eingesetzt wird, die eigene Klientel zu befriedigen. In Nicaragua etwa bediente Präsident Alemán nach dem Wirbelsturm Mitch zunächst einmal diejenigen Gemeinden, die von seiner „Liberal Konstitutionalistischen Partei“ regiert werden. Um traditionelle Hochburgen der Sandinisten machten die Hilfslaster einen großen Bogen.

In El Salvador, wo sich der Staat kaum um die Mitch-Opfer kümmerte, war es genau umgekehrt. Im überfluteten unteren Lempa-Tal erreichte die Hilfe vor allem Dörfer, in denen nach dem Bürgerkrieg (1980 bis 1992) demobilisierte Guerilleros angesiedelt wurden. Sie sind heute fast durchweg in NGOs organisiert, verfügen über Direktkontakte zu internationalen Geldgebern und über eine halbwegs funktionierende Infrastruktur. Die beste Voraussetzung für schnelle Hilfe. Die Not ihrer unorganisierten Nachbarn aber wurde oft nicht einmal bekannt.

Linke Parteien haben die neue Rolle der NGOs schnell begriffen und eine Unzahl von Stiftungen, Vereinen und Verbänden gegründet. Zum Teil war es purer Eigennutz. Denn anders als die politische Rechte, die in Zentralamerika die Staatsapparate im Griff hat, hatte die Linke nach dem Ende der Bürgerkriege keine Möglichkeiten, ihre Kader unterzubringen. NGOs, sagt Danuta Sacher vom Washington Office of Latinamerican Affairs (WOLA) in Guatemala-Stadt, „sind zunächst einmal auch eine berufliche Option“. Akademikern biete der zentralamerikanische Arbeitsmarkt sonst kaum attraktive Jobs.

Hasbún nennt diesen Sachverhalt „die Eingangstür der Linken zur Welt der Korruption“. Nicht etwa, weil Hilfsgelder in NGOs genauso systematisch verschwinden würden wie beim Staat. Aber die Gehälter, die sich die Geschäftsführer von Stiftungen ausbezahlen lassen, liegen in der Regel deutlich über denen des lokalen Arbeitsmarkts.

Bezahlt wird alles aus dem zum Teil immensen Verwaltungskostenanteil der Hilfsgelder. Karl Jäger, der mehr als zehn Jahre für den „Deutschen Entwicklungsdienst“ in Nicaragua war, hat bei der Überprüfung eines von einem privaten Sponsor finanzierten ländlichen Bewässerungsprojekts festgestellt, dass mehr als die Hälfte des Etats im Büro der damit beauftragten NGO in Managua ausgegeben wurde.

Auch die politische Rechte hat inzwischen verstanden, dass NGOs ein lukratives Geschäft sein können. In El Salvador gibt es fast so viele rechte wie linke Stiftungen, und auch in Guatemala holen die Konservativen auf. Zusätzlich zu Geldern der Entwicklungshilfe kommen bei ihnen Einnahmen aus staatlichen Aufträgen, das macht das Geschäft doppelt interessant. Als Anfang Mai in El Salvador das neu gewählte Parlament zusammentrat, gaben die ausscheidenden Abgeordneten – linke wie rechte – fast durchweg eine NGO als zukünftigen Arbeitgeber an.

Die von der Arbeit der Stiftungen begünstigte Bevölkerung scheint dagegen zweitrangig zu sein. Nach einer Studie der Zentralamerikanischen Universität von San Salvador (UCA) auf der Basis von knapp hundert NGOs wohnt die überwiegende Mehrheit der hauptamtlichen Angestellten in der Hauptstadt und kommt nur dann aufs Land zu den Armen, wenn es unumgänglich ist. Etwa beim Besuch einer Delegation der Geldgeber. In weniger als einem Viertel der NGOs sitzt ein Vertreter der betroffenen Bevölkerung im Vorstand.

Gilberto Ríos, der seit dreißig Jahren im NGO-Geschäft ist und für die honduranische Caritas im Stiftungsdachverband Interforos mitarbeitet, sagt deshalb selbstkritisch: „Die allermeisten NGOs sind konservativ in dem Sinn, dass sie noch immer ein assistenzialistisches Modell vertreten.“ Man gibt dem Hungernden ein Stück Brot und dem Obdachlosen ein Stück Blech für eine Hütte. „Aber kaum eine Stiftung verfügt über einen schlüssigen Entwicklungsplan.“

NGOs passen damit nahtlos in das Konzept neoliberaler Entwicklungspolitik, die von der UCA-Studie mit drei Punkten zusammengefasst wird: – Assistenzialistische Sozialprogramme für die Armen. – Staatliche Basisdienstleistungen wie die Wasser- oder Gesundheitsversorgung werden privatisiert und von der Wirtschaft oder NGOs übernommen. Der Staat beschränkt sich auf die Regulierung. – Eine neue Rhetorik der multilateralen Finanzinstitute fordert, dass man, wo immer möglich, mit NGOs und kommunalen Organisationen zusammenarbeitet.

Die von IWF und Weltbank verordnete Strukturanpassungspolitik, so die Studie weiter, „reduziert systematisch die Fähigkeit des Staats, sich dem Problem der Armut zu stellen“. Die NGOs sorgen dafür, dass es trotzdem nicht zu Hungeraufständen kommt. Sie sind das soziale Pflaster, mit dem die radikalen Schnitte verarztet werden. Die Studie fordert von den Stiftungen stattdessen eine „politische Mission“ und eine „konfrontative Politik“ gegen dieses Entwicklungsmodell.

Hasbún fasst diese Forderung in dem Stichwort „Aufklärung“ zusammen. Kultur und Politik sind in Lateinamerika noch immer paternalistisch geprägt. Das Zeitalter der Aufklärung ging an dem Halbkontinent vorbei. Dies sei das einzige sinnvolle Arbeitsfeld für Stiftungen: „NGOs müssen öffentliche Meinung schaffen. Sie müssen die Menschen darüber aufklären, in welcher Welt sie leben und wie sie das verändern können.“

TONI KEPPELER, 43, ist Zentralamerikakorrespondent der taz in San Salvador und sitzt im Beirat der u. a. von der Heinrich-Böll-Stiftung finanzierten NGO „Contraportada“, die sich dort um die Fortbildung von Journalisten kümmert