Denkmal der Labormaus

39 Künstler malen sich die genetische Revolution aus: Die Ausstellung „Paradise Now“ in New York

von THOMAS GIRST

Jacques Derrida lässt nicht grüßen. Neben weiteren prominenten Namen findet sich im Gästebuch von „Paradise Now“ einzig die Signatur des Philosophen. Andere Besucher der New Yorker Galerie „Exit Art“ sind da kommunikativer: Wenige Seiten später warnt eine anonyme, aufgebracht wirkende Handschrift vor einem in den USA angeblich weit angewendeten genmanipulierten Impfstoff gegen Hepatitis B, „der die Gesundheit tausender Amerikaner gefährdet“, während „in Frankreich bereits 15.000 Betroffene gerichtlich dagegen vorgehen“.

Es ist diese Art von Resonanz, die sich Marvin Heiferman und Carole Kismaric, die beiden Kuratoren von „Paradise Now“, wohl gewünscht haben. Die Ausstellung betrachten sie als diskursiven Raum, in dem derzeit 39 Künstler die Implikationen der genetischen Revolution ausmalen: Fragebögen zur Genwissenschaft liegen aus, es gibt Verweise auf zig Kundgebungen und Internetprojekte, und das Rahmenprogramm bietet tägliche Führungen oder Podiumsdiskussionen mit Künstlern und Wissenschaftlern. Die Exponate selbst reflektieren die gegenwärtige Aufbruchstimmung, sind Warnmale und zugleich Wegweiser in eine schöne, neue Welt. Eduardo Kacs große Multimediainstallation „Genesis“ (1999) etwa übersetzt die biblische Aufforderung Gottes zur Unterwerfung der Erde ins Morsealphabet. Von dort wird die Schrift in Sequenzen übertragen, die aus den vier Buchstaben des genetischen Codes bestehen: G, T, C und A. Aus dieser Kombination ließ Kac ein Gen entwickeln, das er auf lebende Bakterien übertrug, die nun mikroskopisch vergrößert betrachtet werden können. Außerdem bietet „Genesis“ jedem Internetbenutzer die Gelegenheit, unter www.ekac.org besagte Bakterien mit ultraviolettem Licht zu „beschießen“, um eigene Mutationen zu kreieren.

Wolpertinger per Mausklick

Die Werke anderer Künstler nehmen sich dagegen fast herkömmlich aus. Alexis Rockmans plakativ-surrealistisches Gemälde „The Farm“ (2000), das sich grob an Joan Mirós gleichnamiges Gemälde von 1921/22 anlehnt, zeigt überzüchtete Tiere und Pflanzen, während ein zähnefletschender „Kellogg’s-Frosties“-Tiger vor den Gefahren genmanipulierter Lebensmittel warnen soll. Und Bryan Crocketts fleischfarbene Marmorskulptur „Oncomouse“ ist eine Furcht erregende Zwei-Meter-Darstellung der ersten, vor einigen Jahren für onkologische Forschungszwecke gezüchteten und gleichfalls patentierten Labormaus mit menschlichem Immunsystem. Das Züchten selber hat Brandon Ballengée kurzerhand in einen Ausstellungsraum von „Paradise Now“ verfrachtet. Unter Mithilfe von etwa 20 Fröschen bemüht er sich darum, eine womöglich ausgestorbene Amphibienart durch kontrollierte Kopulation verschiedener Froscharten wiederauferstehen zu lassen. Im Cyberspace geht das natürlich alles schneller. Dort kann man sich, der Künstlerin Eva Sutton sei Dank, seinen ureigenen Wolpertinger via Mausklick in Windeseile zurechtbasteln. Ihr „Hybrid“ (2000) bietet die Möglichkeit der schier unendlichen Kombination Hunderter von Körperteilen verschiedener Spezies.

Ganz „Paradise Now“ wimmelt von Chromosomen, DNA-Doppelhelices, Diagrammen und Genomsequenzen. Ab und an bleibt es allerdings beim guten Willen. So lädt eine interaktive Computersimulation von Nancy Burson die Besucher der Ausstellung dazu ein, sich auf dem Bildschirm in einer anderen Hautfarbe zu betrachten. „The Human Race Machine“ (2000) offeriert die Wahl zwischen „Weiß“, „Schwarz“, „Asiatisch“, „Hispanisch“ und „Indisch“. Denn, so lässt die Künstlerin wissen: zu 99,97 Prozent sei unser aller DNA identisch.

Gegen solch missionarische Zeigefingerdidaktik verwehrt sich die kalifornische Künstlerin Natalie Jeremijenko: „Wer in den menschlichen Genen die alleinige Erklärung unserer Identität sucht, vernachlässigt sowohl die politischen wie sozialen Faktoren, die auf unsere Entwicklung einen entscheidenden Einfluss haben.“ Auf einer im voll besetzten Theatersaal von „Exit Art“ anberaumten Podiumsdiskussion wettert sie gegen den Titel der Ausstellung. „Die Entschlüsselung der DNA ist kein Lesen im ‚Buch des Lebens‘ “, sagt sie. Hier würden falsche Metaphern gebraucht, um die Wichtigkeit der Genforschung zu unterstreichen und deren finanzielle Unterstützung zu sichern – eine Tendenz, die den Sponsoren von „Paradise Now“ geschuldet sei.

Bloß angemaßte Kompetenz der Künstler

Generelle Kritik müssen aber auch die Künstler einstecken. Kategorisch spricht sich eine Biologiestudentin gegen deren Selbstverständnis als Ombudsfrauen und -männer der Öffentlichkeit aus: Der Laie könne sich durch Medien und Internet ein viel genaueres Bild der Genrevolution verschaffen als durch Künstler, die meist nur eine sehr periphere Ahnung von jener Wissenschaft hätten, die sie in ihren Werken zitieren.

Solche Scharmützel am Rande der Ausstellung zeigen zumindest, dass eine breitere öffentliche Diskussion fehlt. Im laufenden Wahlkampf um die US-Präsidentschaft etwa spielen Fragen der Gentechnologie keine Rolle. Dagegen hat sich „Titanic“-Regisseur James Cameron des Themas angenommen. Auf dem Fernsehsender „Fox“ läuft „Dark Angel“, eine Serie um eine genmanipulierte, schöne Heldin, die mit elegant ins Nackenfleisch tätowiertem Strichcode von Abenteuer zu Abenteuer tingelt, als Fleisch gewordenes Lob auf die Manipulation des Erbmaterials.

Im Kontrast zu solchem Zukunftsglauben artikuliert sich in „Paradise Now“ ein gewisses Unbehagen. Iñigo Manglano-Ovalles „Banks in Pink and Blue“ (2000) besteht aus Samenbanken, deren Aluminiumbehälter Sperma von 100 Testpersonen in flüssigem Stickstoff aufbewahren. Im blau markierten Kanister befinden sich die männlichen, im rosa markierten die weiblichen Spermien. Die Urheberrechtsverträge der Spender sind an den giftgrünen Ausstellungswänden angebracht.

Diese Behältnisse machen nachdenklich – vor allem dann, wenn ein paar Straßen weiter auf dem Campusgelände der NYU, auf häuserwandhohen Plakatwänden um die von wohlhabenden, aber unfruchtbaren Paaren begehrten Eier der intelligentesten und hübschesten Studentinnen geworben wird. Das Geld für ein solches Ei kann monatelanges Kellnern aufwiegen.

„Paradise Now“, bis 28.10., New York. Weitere Informationen: www.exitart.org und www.geneart.org