Big Brother Harry Potter
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von KARL WEGMANN

Willy hat einen mächtigen Kulturschock. „Ich komme einfach nicht mehr mit“, jammert er. „Da meint doch gestern meine Tochter zu mir: ,Papa, eingentlich bist du ja so ein richtiger Harry. Aber manchmal auch ein echter Christian, so’n ultracool brutaler Entenjäger.‘ Ich hab kein Wort verstanden, meine Tochter redet mit mir und ich versteh sie nicht“.

„Big Brother“, sagt Bernd, „sie hat dich mit Typen aus dem Glotze-Knast verglichen“. „Na großartig“, mault Willy. „Du hast das sofort geschnallt, ich musste erst Marlies fragen, was los ist.“

„Na ja“, fängt Bernd an zu dozieren, „man muss sich schon ein wenig mit der Jugendkultur auseinander setzen, wenn man seine Brut nicht verlieren will ... ich meine verbal und so.“ „Genau das ist das Problem“, sagt Willy. „Ich hab nicht die geringste Lust, mir diesen ganzen geistigen Dünnschiss reinzuziehen. Aber ich werde dazu gezwungen. Immer und immer wieder.

Nimm zum Beispiel diese Fete bei Ingrid neulich. Da steht so ein steifes Grüppchen zusammen, alles Leute, die ich von früher kenne, ich schnapp mir ein Bier und stell mich dazu. Sie reden darüber, ob es eine gewisse Hermine wohl in den Container geschafft hätte und wenn ja, wie lange sie durchhalten würde und ob sie es in der ersten Staffel leichter gehabt hätte als in der zweiten. Die Meinungen sind geteilt, es wird kontrovers diskutiert.

Oh Mann, ich hab mehr als eine halbe Stunde gebraucht, um dahinter zu kommen, dass die über Big Brother reden, dass aber Hermine eine Figur aus den Harry-Potter-Büchern ist. Ich meine, das waren alles Scheiß-Akademiker, voll im Saft, und die diskutieren todernst über diesen Fernsehmüll und über eine fiktive minderjährige Zauberin“.

Willy schüttelt verzweifelt seinen großen Schädel. „Immerhin scheinst du dich ja bei Harry Potter bestens auszukennen“, versucht Bernd ihn zu trösten. Willy reagiert genervt: „Bist du irre? Für diese Fastfood-Märchen hab ich keine Zeit“. „Aber Hermine kennst du“, kontert Bernd. „Gezwungenermaßen“, seufzt Willy, „hat mir alles Marlies beigebracht, als im letzten Jahr unsere Tochter so seltsame Sachen von sich gab, wie: ‚Wenn das Essen fertig ist, könnt ihr ja eine Eule schicken‘“. Bernd lacht, diese Sprüche kennt er. „Sind doch ganz witzige Sachen drin, in den Schmökern“, meint er, „zum Beispiel diese riesigen Kutschpferde, die nur Single Malt Whisky saufen ... und die BB-Insassen haben auch ganz flotte Sprüche drauf wie: ‚Halt die Klappe oder ich zeig dir mal, wo der Frosch die Locken hat!‘“.

Bernd lacht, Willy nicht. „Versteh ich alles nicht“, lamentiert er weiter, „eines Tages werde ich die Kiste einschalten und nicht mehr wissen, wovon die Welt redet“. „Ach komm, hör auf“, grinst Bernd, „deine Tochter verstehst du doch jetzt und deine Frau sowieso.“

Die Tür geht auf und Marlies brüllt: „Willy, du alter Dudley, wolltest du nicht kochen? Was ist jetzt? Ich bin doch nicht deine Winky!“ Und zack knallt sie die Tür wieder zu. Willy glotzt Bernd verwirrt an: „Big Brother?“ „Nee“, sagt Bernd mitleidsvoll, „Harry Potter!“