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: Denktagebuch – Hannah Arendt in „du“

Mut zum Politischen!

Ein Profil in Schwarzweiß: Weißes Licht fällt auf Stirn und Schläfe, auf die markante Nase und den Zigarettenstummel, der im Mundwinkel hängt: Ihr Porträt ist das Titelbild der Zeitschrift du im Oktober. Eine wunderschöne Aufnahme aus der Zeit, als Hannah Arendt Anfang dreißig war und fremd in Paris. Im Heftinnern berichtet Olivier Mongin von Arendts politischer Arbeit im Frankreich der Dreißigerjahre; aber von der anderen Seite des Lebens im Exil, von der Einsamkeit, erzählt nur das Foto. Eben deshalb kann man das Konzept der Zeitschrift du nicht genug loben: Ihre großformatigen Bilder heben sie jeden Monat ab von den vielen Kulturzeitschriften, die, ganz protestantisch, ihr Heil in nichts als Texten, Texten, Texten suchen. Nicht, dass die du die Schrift verachten würde, im Gegenteil, das Foto gewinnt seine Kraft auch aus dem Kontrast zur Schlagzeile: Oben der melancholische Blick ins Nichts, darunter eine Formel in weißen Großbuchstaben: „Mut zum Politischen“ – Ausrufezeichen.

Drei Worte, die die ganze Hannah Arendt enthalten sollen, eine Autorin, die doch ihre Produktivität gerade dann entfaltet, wenn sie Fragezeichen hinterlässt. Manche ihrer Irritationen oder inneren Widersprüche wühlen die Öffentlichkeit auf, seit sie Hannah Arendt kennt. Zum Beispiel ihr Verhältnis zu Martin Heidegger. Ingeborg Nordmann schildert die Treue, die Arendt dem geliebten Heidegger gehalten hat – sogar nach dem Krieg, als die Jüdin das Versagen der deutschen Intellektuellen brandmarkte, während der Naziprofessor dazu hartnäckig schwieg. Die zweite Langzeitirritation ist Arendts kühle Beschreibung Adolf Eichmanns. Die Kontroverse darüber, wie „banal“ der Organisator der „Endlösung“ und wie mitschuldig die Judenräte waren, schwelt nach wie vor; erst in diesem Sommer ist Arendts „Bericht“ ins Hebräische übersetzt worden, wie Amos Elon berichtet. Eine dritte Provokation fehlt leider: der Versuch, strukturelle Gemeinsamkeiten zwischen Nazismus und Stalinismus zu untersuchen. Zwar beschreibt Jerome Kohn, Arendts letzter Forschungsassistent, das Denken seiner Lehrerin über totalitäre Herrschaft. Aber den gerade wieder laut gewordenen Streit über die Frage, ob und wie sich der Nationalsozialismus und seine Verbrechen vergleichen lassen (dessen groteskes Echo die Turbulenzen am Dresdener Hannah-Arendt-Institut sind), spart die Zeitschrift aus. Dennoch verschafft das Heft einen Eindruck davon, warum Hannah Arendt 25 Jahre nach ihrem Tod Hochkonjunktur hat – wegen der Radikalität, mit der sie die politische Theorie von den Begriffen der Tradition befreien wollte. „Denken ohne Geländer“: Das findet man in Reinform in jenen kleinen Stücken, die die du aus Arendts bislang unveröffentlichtem „Denktagebuch“ abgedruckt hat. Hier schreibt eine kaum bekannte Hannah Arendt; das Denktagebuch ist eher ein Experimentierfeld. Hier stehen Gedanken unvermittelt herum, verdichtet zum Aphorismus. Wie in einer Notiz vom Januar 1953: „Um eine politische Wissenschaft zu etablieren, muss man zuerst alle philosophischen Behauptungen über den Menschen noch einmal überdenken unter der Voraussetzung, dass Menschen (men), und nicht der Mensch (Man), die Erde bewohnen.“ Arendt fordert eine Philosophie, für die Menschen „nur im Plural“ existieren. Und bevor heutige Leser wissend abwinken, erinnert sie daran, was sie damit zur Seite schiebt: immerhin jene Frage – was denn wohl „der Mensch“ sei –, in der Kant noch die gesamte Philosophie zusammenfasste.

In einem Raum der Pluralität platziert Arendt auch ihre Vorstellung von Macht. Eine Macht, die nicht auf Befehl und Gehorsam basiert, sondern zwischen den Menschen entsteht, ja Individuen in Gruppen integriert. „Wenn Menschen zusammen handeln, entsteht immer Macht; sonst gäbe es gar kein Handeln“ – so schreibt sie 1952; erst zwanzig Jahre später wird sie diesen Gedanken in Buchform ausarbeiten.

Solche Ideen sind es, die in den letzten Jahren etwa die feministische Theorie dankbar aufgegriffen hat. Seyla Benhabib versteht Macht als „befreierische Tätigkeit“ und liest diese Arendt gegen eine andere Arendt – gegen die „Präfeministin“, die einmal behauptet hat, es gebe „bestimmte Beschäftigungen, die Frauen nicht stehen“. Benhabib hat, ganz Harvard-Professorin, eine theoriepolitische Skizze verfasst. Anschaulicher wird das weibliche Ringen mit Hannah Arendt in dem Beitrag von Isolde Schaad. Sie beginnt mit zwei lapidaren Sätzen, die auch für männliche Arendt-Leser gelten: „Man würde gern sagen, sie war Eine von Uns. Doch traut man sich nicht.“ RENÉ AGUIGAH

„du“: „Hannah Arendt. Mut zumPolitischen!“ Oktober 2000, HeftNr. 710, Tagesanzeiger Verlag,Zürich, 98 S., 20 DM