Rechtsstaat – nein danke!

Vor 50 Jahren begann das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Arbeit unter Aufsicht eines britischen Hochkommissars. Kontrolle schien notwendig: Das Amt machte mehr durch eigene Affären denn durch Aufklärungsarbeit von sich reden

von OTTO DIEDERICHS

Heute darf die Verfassung aufatmen, sie bleibt ungeschützt. In Köln wird gefeiert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz begeht sein 50-jähriges Bestehen.

Das Licht der Welt erblickte die Behörde 1950 als „Dienststelle Köln“, bevor sie im September desselben Jahres unter Aufsicht eines britischen Hochkommissars erstmals unter dem heutigen Namen auftrat.

Kontrolle war dringend notwendig, wie sich bald herausstellte: Die ersten sieben Kandidaten, die die Regierung Adenauer für das Präsidentenamt vorschlug, lehnte der Hochkommissar wegen ihrer braunen Vergangenheit ab. Die Briten setzten 1951 Otto John, eine Randfigur des Widerstandes vom 20. Juli 1944, als Amtsleiter durch. „Ich mag den Mann nicht“, mokierte sich Adenauer. Damit war alles gesagt. Der Regierung gelang es, dem Amtschef Albert Radke als Vize zur Seite zu stellen. Der war nicht nur an Judendeportationen in der Tschechoslowakei beteiligt, sondern zudem in leitender Position an der Suche nach den „Verschwörern des 20. Juli“.

Auch 16 ehemalige Angehörige von Nazigeheimdiensten fanden im neuen „Amt“ ein Betätigungsfeld. Bei Kontrollbesuchen der Briten verschwanden sie in einer nahe gelegenen Kneipe.

Rechtsstaatliches Arbeiten bereitete den Verfassungschützern Probleme. So kam schnell der erste Skandal. Grund war die Flucht eines kleinen Angestellten des Ostberliner „Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Fragen“ im Frühjahr 1953. Im Westen angekommen, löste der Mann mit seinen Behauptungen die „Operation Vulkan“ aus: Knapp 40 Personen ließ der Verfassungsschutz festnehmen – „die wohl größte sowjetische Spionageorganisation seit 1945“. Pustekuchen. Denn nach zwei Wochen musste er die ersten von ihnen wieder freilassen. Noch mehr Ärger hatte das Amt mit seinem Chef. Unter ungeklärten Umständen verschwand John 1954 nach Ostberlin. Ein Jahr später kehrte er ebenso überraschend zurück und wurde wegen Landesverrats zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Vergebens beteuerte John bis zu seinem Tode 1997, entführt worden zu sein.

Nachfolger Hubert Schrübbers verhinderte 1959 das Erscheinen eines Stern-Artikels über die Praktiken der Schlapphüte – ein klarer Eingriff in die Pressefreiheit. 1973 holten sich die Kölner beim chilenischen Geheimdienst Informationen über Gegner von Pinochets Militärdiktatur in der Bundesrepublik.

1975 hatte eine weitere Pleite politisch weitreichende Folgen: Obwohl Kanzleramtsspion Günter Guillaume bereits unter Beobachtung stand, informierte das Amt Willy Brandt nicht. Nach Guillaumes Verhaftung trat Brandt zurück.

Zwei Jahre später wurde die „Operation Müll“ bekannt. Weil sie ihn fälschlicherweise verdächtigten, Kontakte zur RAF zu haben, hatten die Schattenkrieger das Haus des Atomwissenschaftlers Klaus Traube verwanzt.

So könnte die Aufzählung weitergehen. Bespitzelung der Grünen schon bei deren Gründung 1980. Die „Tiedge-Affäre“ 1985, als der Leiter der Spionageabwehr gegen die DDR in ebendiese flüchtete, und und und. Doch genug. An Geburtstagen sagt man sich Artigkeiten. Also: Herzlichen Glückwunsch.

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