Sieg in Rome

Das Schauspielhaus Bochum erfindet sich neu – unter dem Intendanten Matthias Hartmann

von MORTEN KANSTEINER

Gerade hebt Tasso an, von Dichterheroen vergangener Zeiten zu schwärmen, da fällt ihm einer in den Monolog: „Check, eins, zwei“, tönt es lautsprecherverstärkt, und Antonio betritt mit schmierigem Enthusiasmus und kurzem Atem wie ein „Big Brother“-Moderator die Bühne: „Kaum wag’ ich es zu sagen, welch Vergnügen / In eurer Gegenwart mich neu belebt.“ Schleimer.

Die Rivalen in „Kauft Tasso!“, Nicolas Stemanns freier Umsetzung des Künstlerdramas, sind nicht mehr „Held und Dichter“, sondern der kommerzielle Star und der Hochkulturkünstler. Um die Legitimität staatlich finanzierter Kultur wird gestritten, gleich zu Beginn der Intendanz von Matthias Hartmann am Bochumer Schauspielhaus. Antonio (Max Urlacher) preist geschmackvolle Musicalproduktionen in „Rome“, die ohne Subventionen auskommen. Tasso (Philipp Hochmair) hingegen pflegt die Flegeleien des protegierten Genies.

Er zerdeppert eine Goethe-Büste, legt sich mit Antonio an, aber auch mit seinen Gönnern: Nur widerwillig liest er aus dem Tasso-Band, den ihm die Edlen von Ferrara zuwerfen. Auch die anderen Figuren sind mäßig motiviert, Goethe zu spielen; sie driften ab, verwandeln die Verse in einwandfreie Hippie- oder Reinhard-Mey-Lieder. Am Schluss, nachdem Tasso durchgeknallt ist, werden seine letzten Verse, ordentlich verewigt, von der CD eingespielt. Musealisierung schlägt Kreativität. Und Kommerz schlägt beides: Zwei kräftige Kerle fangen an, die Bühne aufzuräumen. „Rome“ steht hinten auf ihren schwarzen T-Shirts.

Aber der eigentliche Sieger ist die Mannschaft von Nicolas Stemann. Souverän hat sie sowohl Klassikerverehrung als auch Fernsehkultur denunziert und damit die Bühne für ihr Postdrama reserviert, für die intellektuelle Bastelarbeit aus kanonischem Text und massenmedialen Ausdrucksweisen. Stemann fügt die Ebenen sauber aneinander und hat immer einen doppelten Ironieboden eingezogen, wenn man ihn einer vorschnellen These überführen will.

So ist der Wettstreit der Kulturen also doch noch gut ausgegangen. Tags zuvor, nach der ersten Halbzeit, stand alles auf der Kippe. Denn da war eine Inszenierung von Marivaux’ „Triumph der Liebe“ zu sehen gewesen, die in der fiktiven Kommerzkapitale Rome zweifellos einen Produzenten gefunden hätte: So glatt ließ der Regisseur Patrick Schlösser die Intrige der Leonida, Prinzessin von Sparta, über die Bühne gehen. Ohne Probleme verdreht die Heldin, als Mann verkleidet, dem Philosophen Hermokrates und seiner Schwester Leonine den Kopf, um in der Nähe von Agis, dem Schützling der beiden, verweilen zu können. Ihr eigentliches Ziel ist nämlich, dessen Herz zu gewinnen. Was ihr ohne Anstrengung gelingt. Johanna Gastdorf spielt Leonida entzückend resolut, Armin Rohde und Margit Carstensen spielen den Philosophen und seine Schwester jeweils entzückend verhärmt. Eine gekonnt komische Vorstellung, deren Pointen garantiert niemanden treffen.

Solch harmlose Unterhaltung liefert in seinen schwachen Passagen auch „Die Eröffnung“, der ausgreifende Monolog eines Schauspielers, den Peter Turrini speziell für den Bochumer Auftakt geschrieben und Matthias Hartmann inszeniert hat. Etwa wenn der Schauspieler auf Politiker schimpft. Da ist der fröhliche Konsens rasch hergestellt. Aber die Inszenierung hat doch mehr zu bieten. Zum einen die Schauspielkunst von Michael Maertens, der die Vorlagen des Textes – von Depression über Begierde bis zu Wahnsinn ist alles eingebaut – virtuos verwandelt. Zum anderen die Momente, in denen man sich gemeint fühlt: Der Schauspieler berichtet zum Beispiel von dem Fehler, seine Frau zu verlassen – wegen „Arschverbreiterung“, aber mit der offiziellen Begründung, etwas Distanz sei dringend erforderlich.

Noch wertvoller wirkte diese Hellsicht, wenn nicht Sibylle Berg die Arschverbreiterung und ähnlich peinliche Wahrheiten noch besser auf den Punkt gebracht hätte – in ihrem ersten Theaterstück, dessen Uraufführung das Bochumer Wochenende abschloss. „Helges Leben“ steckt voller Aphorismen der Jämmerlichkeit: „Die Woche mag ich nicht. Am Wochenende mag ich mich nicht.“ Neben Helge (Manuel Bürgin) steht Helges Angst (Tonio Arango), die ihn treu Richtung Unglück bugsiert.

Hier sind die Lacher der notwendige Schutz vor Depressionen. Ein Liebespaar, das sich mit zwei ausgewachsenen Ängsten im Bett wälzt, bietet ein fürchterlich treffendes Bild, aber zum Glück auch ein witziges. Der Regisseur Niklaus Helbling hat den absurden Humor noch verschärft, eine trashige Revue inszeniert. Richtig mit Musik und so: Die Sängerinnen Erika Stucky und Sina, für die Sibylle Berg die Rollen Frau Gott und Tod geschrieben hat, tragen böse Schnulzen vor. Zu guter Letzt, als es ans Sterben geht, erwischt es erstaunlicherweise Helges Angst statt ihn selbst. Es gibt doch Wunder, das Leben geht weiter, und das Bochumer Schauspielhaus hat es mit „Helges Leben“ geschafft, seinen Vorsprung vor „Rome“ und seinem kommerzkompatiblen Amüsement noch auszubauen.

Nächste Aufführungen: „Triumphder Liebe“ 26. 10., 3. 11., 4. 11.;„Eröffnung“ 27. 10., 28. 10., 31. 10.;„Kauft Tasso“ 2. 11., 8. 11., 16. 11.;„Helges Leben“ 16. 11., 17. 11., 25. 11.