die stimme der kritik
: Betr.: Der Wertewandel des Wertewandels

Der „Spiegel“ singelt in die Zweisamkeit

„Der flotte Single, viele Jahre fast eine Kultfigur der Gesellschaft, ist plötzlich out.“ So die Unterzeile der aktuellen Spiegel-Titelstory „Die neue Zweisamkeit“. Wahrlich, sehr plötzlich ist er out, der flotte Single. Denn noch im März war er ziemlich in. Was dem Nachrichtenmagazin ebenfalls eine Titelseite wert war: von „Single-Boom“ war die Rede, von „Single-Epoche“ gar.

Und während die Medien damals noch fasziniert auf das „muntere Leben der Singles“ schauten, ist nun auf einmal „das Image des Singles offensichtlich ramponiert“. Wie hat er das so schnell hinbekommen, der Single? Hat er sich sein Image vielleicht kaputt gevögelt? Nein, er hat einfach Schritt gehalten mit dem sich stetig wandelnden Wertewandel.

Waren Singles im März noch die „Speerspitze des Wertewandels“, so ist nun der jung vermählte Chris „prototypisch für einen Wertewandel in der Gesellschaft“.

Verantwortlich ist die Globalisierung. Für Single-Boom wie für Family-Trend. Düster verkündete der Spiegel im März: „Voraussetzung für beruflichen Aufstieg ist, nett formuliert, soziale Unabhängigkeit.“ Nur 33 Hefte später erklärt ein Personalberater: „Wenn zwei 30-Jährige mit gleicher Qualifikation sich um eine Stelle bewerben, wird tendenziell der Kandidat bevorzugt, der in einer festen Beziehung lebt.“ Endlich ist sie da, die Trendwende am Arbeitsmarkt.

Dass nicht alle Singles freiwillig solo sind, räumte der Spiegel bereits im Frühjahr ein. Kein Wunder: „Die Hälfte der Solisten war auf sexuelle Nulldiät gesetzt.“ Was sich im aktuellen Heft ganz anders liest: „Jeder kann heute einen Mann oder eine Frau für die Nacht finden. Notfalls fällt bei den vielen Fisch-sucht-Fahrrad-Partys immer eine oder einer ab.“ Singles, ihr könnt wieder auf die Piste, Kuppel-Events führen direkt in die Kiste. Oder steckt ihr inzwischen alle in diesen trendigen Beziehungen?

Gleich geblieben ist nur des Deutschen Narzissmus. Mit dem der Spiegel alles erklärt. Im März, dass „viele Singles so hilflos auf dem Liebesbasar“ sind. Heute die neue Zweisamkeit: „Zwei narzisstische Lebensgefährten tun nichts lieber, als sich unentwegt gegenseitig zu idealisieren.“ Wie gut, in einer schnelllebigen Zeit wie dieser ein waches Magazin wie den Spiegel am Kiosk zu wissen. Damit wir nicht verpassen, wenn es heißt: „Die Seitensprung-Welle – Warum Narzissten ihre Beziehungen globalisieren“.

PHILIP MEINHOLD