König des Rotspons

Kapriziöse Burgunder bieten unvergessliche Weinerlebnisse – und bitteren Frust

von BERND KREIS

Burgunder bieten Abenteuer, Enttäuschung, Wut, Wollust, Glück, und in den besten Fällen sind sie fähig, die Zeit mit Grandezza zu überwinden. Meine eindrucksvollsten Rotweinerlebnisse feierte ich mit edlen Burgundern. Oft waren es jugendlich-frische Gewächse voller Saft und Kraft, doch meistens Weine, die viele Jahrzehnte in ihren Flaschen zur Vollendung reiften.

Burgunder sind sexy, ihre laszive Form der Vollkommenheit ist in der Welt des Weins unerreicht. In der Jugend besitzen sie frivole Fruchtigkeit und duften nach vollreifen Beeren. Die häufigsten Aromen sind die von Erdbeeren, Himbeeren und Johannisbeeren. In diesem Stadium sind es feine Weine zum Charolais-Steak oder zum rustikalen „Jambon persillé“, der knoblauchwürzigen Schinkenterrine. Nach einigen Jahren in der Flasche entwickeln sich die frischen Fruchtaromen zu einem reichen, erotisierenden Bukett mit Moschus- und Ambradüften, Trüffelaromen und dem morbiden Duft des herbstlichen Laubwaldes. Diese Weine trinkt man in der kalten Jahreszeit, am besten zu Wildbret.

Beinahe alle großen Rotweine der Welt werden aus verschiedenen Rebsorten zusammengestellt. Als eine der wenigen Ausnahmen bestehen rote Burgunder aus einer einzigen Sorte: Pinot noir, der bei uns Spätburgunder heißt. Weil Pinot noir als Solist große Weine liefern kann, ist er noch vor dem Cabernet Sauvignon die edelste rote Sorte. Doch sie ist so kapriziös, dass nur wenige Erzeuger mit ihr reüssieren. Das richtige Klima ist entscheidend. Die berühmte Finesse erreichen die Weine nur, wenn die Trauben in gemäßigtem bis kühlem Klima langsam reifen. In heißen Gegenden fallen sie plump und uninteressant aus.

Die klimatischen und geologischen Besonderheiten des ostfranzösischen Burgund ermöglichen vollendete Pinots. Die ostwärtige Ausrichtung der Weinberge ist dabei von großer Bedeutung. So können die taufeuchten Rebhänge schon von den ersten Strahlen der Morgensonne getrocknet werden. Das ist besonders wichtig für den Pinot noir, dessen kleine Trauben extrem dicht mit Beeren bepackt sind. Wenn sich hier Feuchtigkeit festsetzt, entstehen ideale Bedingungen für Pilzkrankheiten, die die Ernte verderben.

Die verschiedenen Bodenvarianten im Burgund bringen sehr unterschiedliche Weine hervor. Die Reben in den tiefgründigen Mergel- und Tonböden entwickeln wuchtige Weine. Die feinsten Weine wachsen an den kargen, steinigen Hängen. Hoher Kalkanteil im Boden sorgt für lagerfähige Weine.

Pinot noir ist die wohl komplizierteste Rebsorte, die man in einem Weinberg pflanzen kann. Bereits die richtige Wahl aus der Vielzahl von Pinot-noir-Sorten (Klonen) ist entscheidend. Als Favorit gilt der „Pinot fin“, eine alte Sorte, die nur sehr kleine Beeren in dichtenTrauben bringt, das feinste Aroma, die kräftigsten Farben und die seidigsten Tannine bietet. Kurz: die besten Weine. Jedoch ist gerade der Pinot fin besonders fäulnisanfällig und dazu noch ertragsarm. Liegt die Obergrenze für erstklassige Burgunder bei vierzig Hektolitern pro Hektar, ist dieser Ertrag mit Pinot fin fast unerreichbar.

Jeder Weinfreund hat schon unerfreuliche Erfahrungen mit teuren Burgundern durchlitten. Die Jahrgangsunterschiede sind erheblich, und ein großer Lagenname garantiert noch keine überragende Qualität. Zudem erreichen viele Erzeuger nicht in jedem Jahr das gleiche Qualitätsniveau. Hat man jedoch den perfekten Wein gefunden, steht dem Vergnügen nichts im Weg.

Aber wie schmeckt eigentlich ein großer Burgunder? Bereits die Farbe ist bemerkenswert. Es ist nicht die samtige, schwarzrote Couleur der roten Bordeaux-, auch nicht das intensive Purpur mächtiger Rhoneweine, sondern ein heiteres, transparent leuchtendes Rubinrot, das im Alter eine ziegelfarbige Tönung annimmt. Und dann der Geruch: Hier wird weder die ernste Maske der Aristokratie aufgesetzt, wie sie große Bordeaux tragen, noch mit der banalen Fruchtfülle vieler kalifornischer Gewächse gewuchert. Burgunderdüfte konkurrieren mit den Arrangements der größten Parfümkreationen, sie sind fein und fragil. Anfangs umschmeicheln sie die Geruchsnerven dezent, dann schwillt rasch ein facettenreiches Crescendo an. Das Finale furioso, das großartige Verschmelzen aller Aromen zu einem unvergesslichen Duft, ist nur den gereiften Weinen vorbehalten.

Der Geruch eines Burgunders hat immer mit Erotik zu tun. Aus jungen Weinen strömt eine anziehende Fülle von Fruchtaromen. Wenn die Weine einige Jahre gelagert sind, reifen die anfangs sehr fruchtigen Düfte zu einem komplexen, reichen Bukett. Dieser umwerfende Strauß von Aromen macht den Burgunder zum König der Rotweine. Die Fruchtaromen wandeln sich zu schweren Düften, auch wenn einige Cassis-, Brombeer- oder Kirschnoten präsent bleiben. Der Duft des reifen Burgunders enthält ähnliche Aromen wie schwere, sinnliche Parfüms. Neben Leder und edlen Hölzern sind Ambra, Moschus und Trüffel die Förderer der Lust im Reich der Düfte. Sie sind ebenso präsent wie Noten von Lakritz, Kaffee und Schokolade. Jemand hat einmal für reife Burgunder die treffende Metapher eines „dampfenden Vollblutrosses im Morgennebel“ benutzt.

Ein guter Burgunder verfügt aber auch über eine ausgewogene Säure, die ihn frisch hält und für Eleganz sorgt. Burgunder sollen nie „hart“ sein. Die Gerbstoffe sind in der Jugend des Weins deutlich spürbar, jedoch von samtener Struktur. Im reifen Wein treten sie als Bukett- und Geschmacksstoffe in Erscheinung, geben dem Wein das nötige Fett und seine Geschmeidigkeit. Sie sind seidig.

Längst nicht jeder Burgunder ist perfekt, viele Weintrinker werden durch Negativbeispiele abgeschreckt. Es verlangt schon eine gehörige Portion Kennerschaft, um die besten Weine herauszufiltern. Hier liegt wohl der Hauptunterschied zwischen passionierten Burgundertrinkern und Bordeauxanhängern. Letztere bestellen ihre Weine aufgrund der Benotungen, die in allen Zeitschriften abgedruckt werden. Sie erhalten gute Weine und fühlen sich als Kenner, wenn sie den auswendig gelernten Sermon der Weinkritiker Parker und Broadbent herunterbeten. Eigenes Urteilsvermögen ist nicht gefragt, es zählt das Prestige berühmter Etiketten.

Der Burgunderkenner muss sich zum großen Teil auf sein eigenes Urteil verlassen, denn viele gute Weine erscheinen nicht in der einschlägigen Literatur. Für Anfänger empfiehlt es sich, zu Weinen der bekannten Handelshäuser zu greifen. Die Besten sind Faivelay, Louis Jadot, Bouchard Père et Fils, Champy und Drouhin. Mit dem Signet dieser Häuser kauft man immer einen guten Wein, nicht selten einen großen.

Dennoch entstehen die meisten Spitzenweine in kleinen Weingütern. Unter den neuen Stars sind besonders bemerkenswert: die Weingüter René Engel, A.F. Gros, Philippe Charlopin, Denis Mortet und die Domaine de Chassorney. Das höchste Glück des Burgunderfreundes ist es, „seinen“ Wein selbst zu entdecken und beim Winzer einzukaufen. Selbst versierte Verkoster betreten hier dünnes Eis. Viele Vignerons im Burgund haben die Schlitzorigkeit beim Verkauf zur Meisterschaft gebracht. Falls im Burgund direkt eingekauft wird, meide man die mit großen Plakaten beworbenen Keller. Dort werden häufig enttäuschende Weine angeboten.

BERND KREIS, bester Sommelier Europas des Jahres 1992, arbeitet im Stuttgarter Spitzenrestaurant „Wielandshöhe“. Sein leicht gekürzter Beitrag erschien in Cottas „Kulinarischem Almanach 2000/2001“, dem von Vincent Klink herausgegebenen, saftig-schmackeligen Lesebuch