Der Kreuzfahrer

aus JohannesburgKORDULA DOERFLER

Die Abgeordneten der ANC-Fraktion trauten ihren Ohren kaum. Der HIV-Virus, so hatten sie gerade gehört, sei eine Erfindung der Pharmaindustrie. Und: Westliche Pharmakonzerne hätten gemeinsam mit dem CIA eine Kampagne gegen die südafrikanische Regierung gestartet, weil die ihren Profitinteressen zuwiderhandele. Der ihnen das erzählte, war kein Geringerer als der Präsident. Nicht alle im ANC denken so wie er, und einige hatten den Mut, die Presse über die nichtöffentliche Sitzung zu informieren.

Drei Monate nach der Welt-Aids-Konferenz in der Hafenstadt Durban hat die Debatte darum, was Aids auslöst oder nicht, in Südafrika nicht nur absurde Züge angenommen, sie ist längst zum Politik-Ersatz geworden. Geschuldet ist das vor allem Präsident Thabo Mbeki.

Unerschütterlich hält dieser an der These der so genannten Aids-Dissidenten fest, dass HIV in Afrika allenfalls eine von vielen möglichen Ursachen der Immunschwäche sei. Der Glaubensstreit, den er schon vor Monaten begonnen hat, hat unterdessen die Ausmaße eines mitunter gespenstisch realitätsfernen Kreuzzuges angenommen. Die Folgen sind grotesk. Wer sich zur Aids-Frage äußert, dem sind Spitzenmeldungen in Nachrichtensendungen sicher – erst recht, wenn er aus den Reihen der Regierungspartei kommt und sich als Anhänger der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung outet: HIV führt zu Aids.

Dabei hat die Mehrheit der Bevölkerung keinerlei Verständnis für die abgehobene Debatte, sondern ruft nach konkreten Maßnahmen, um die Pandemie zu bekämpfen: Rund 4,2 Millionen Menschen – zehn Prozent der Bevölkerung – sind bereits mit dem Virus infiziert, jeden Tag stecken sich 1.600 neu an, und in fünfzehn Jahren werden 10 Millionen Südafrikaner an der Immunschwäche gestorben sein. Längst haben auch die Bündnispartner des ANC, die Kommunistische Partei und der Gewerkschaftsverband Cosatu den Präsidenten öffentlich scharf kritisiert. Auch Nelson Mandela rügte den Nachfolger, wenn auch sanfter.

Um das Zentrum der Macht herum allerdings bleibt es eigentümlich ruhig. Der Mut, dem Präsidenten öffentlich zu widersprechen, wird umso seltener, je mehr man ihm verdankt. Die kritische linksliberale Wochenzeitung Weekly Mail & Guardian machte unlängst die Probe aufs Exempel: Sämtlichen Ministern stellte sie schriftlich die Frage, ob sie glaubten, dass HIV Aids auslöse. Die meisten drückten sich gänzlich um eine Antwort, und von den restlichen wagte es kein Einziger, sich gegen den Präsidenten zu stellen.

Deutlich wird bei all dem ein beunruhigender Trend: Die neue Regierung Südafrikas ist nicht nur abgeschottet von der Öffentlichkeit, sie kann auch nach wie vor Kritik nicht vertragen. Mbeki leide unter einem Überheblichkeitskomplex, der es ihm nicht erlaube, einen Fehler einzugestehen, schrieb der Kolumnist Mondli Makhanya kürzlich in der größten Sonntagszeitung. Und schlimmer noch: „Mbeki verhält sich wie ein wohlmeinender Diktator, der immer zu wissen meint, was für Afrika gut ist.“ So deutlich darf kaum jemand werden – erst recht nicht als Schwarzer. Makhanya trifft damit den wunden Punkt Mbekis – und des ANC: Als wie demokratisch werden sich beide auf lange Sicht hin erweisen?

Die ehemalige Befreiungsbewegung wird heute bis hinauf zum Präsidenten von der Frakion dominiert, die während des Kampfes gegen das Apartheid-Regime im Exil war und in den ehemaligen sozialistischen Bruderländern ihre Ausbildung erhielt. Das hat Spuren hinterlassen. Heute nimmt sie zwar gern für sich in Anspruch, eine „offene Diskussionskultur“ zu pflegen. Wenn es hart auf hart kommt, allerdings wird gut stalinistisch von oben nach unten Schweigen verordnet.

Selbst ein Polit-Aussteiger wie der einstige Konkurrent um die Nachfolge Nelson Mandelas, Cyril Ramaphosa, heute der bekannteste schwarze Wirtschaftsboss des Landes, drückt sich um eine Kritik an Mbeki herum. „Sonst heißt es wieder, ich plane einen Putsch“, wiegelte der ehemalige ANC-Generalsekretär entsprechende Nachfragen ab. Tatsächlich waren ihm Putschgelüste nachgesagt worden.

So heftig indessen die Debatte um Aids geführt wird, sie verstummt immer an einem – dem wichtigsten – Punkt schlagartig: Der Frage, was den Präsidenten eigentlich treibt. Ist es wissenschaftliche Profilierungssucht von einem, der sein Leben der Politik verschreiben musste und eigentlich viel zu klug ist dafür? Oder wächst da, wie manche schon befürchten, ein neuer Mugabe nach, von einem unverbesserlichen Messiaskomplex befallen? Zweifellos hat die aufgeregte Debatte Südafrika auch international enorm geschadet. Noch wagt es niemand, die nächste Frage öffentlich zu stellen: Ist der Mann eigentlich geeignet, das Land zu führen und gar auf dem afrikanischen Kontinent eine Vorreiterrolle zu beanspruchen?

Sechzehn Monate nach seiner Amtsübernahme ist Thabo Mbeki an einem Tiefpunkt in seiner Beliebtheit angelangt. Auch wenn der Streit um Aids dazu wesentlich beigetragen hat, über Mbekis Präsidentschaft der vergangenen Monate lässt sich auch sonst nicht viel Gutes sagen. Gewiss, der scharfsichtige Intellektuelle widmet sich mit Eifer der Armutsbekämpfung in Afrika und der gesamten Dritten Welt. Aber reicht das? Und ist das Aufgabe eines Präsidenten, dessen Land brennende Probleme hat? In dem jeder Zehnte mit HIV infiziert, jeder Dritte arbeitslos ist? In vielen schwarzen Elendsvierteln brodelt es inzwischen, wächst die Ungeduld derer, denen der ANC ein besseres Leben versprochen hat. Alarmiert reagierten auch viele Südafrikaner auf das Lavieren Mbekis in seiner Haltung zum Nachbarland Simbabwe.

Im Gegensatz zum Vorgänger und Übervater Mandela scheut sein Nachfolger das Bad in der Menge ebenso wie Journalisten und wird abgeschirmt von einem eisernen Kordon von ergebenen Jasagern, die er systematisch an an allen wichtigen Stellen installiert hat. „Ein Präsident, der nie mit der Presse redet, braucht sich nicht wundern, wenn nur Gerüchte und Falschmeldungen kolportiert werden“, klagt ein ehemaliger Mitarbeiter im Präsidentenbüro.

Erst jüngst kommt man offenbar in Pretoria zur Einsicht und versucht mit einer Charmeoffensive, Schadensbegrenzung zu betreiben. Erstmals seit seinem Amtsantritt stellte sich Mbeki am Mittwochabend in einer offenen Pressekonferenz der Auslandspresse. In der Sache hatte er nicht viel Neues zu sagen, doch immerhin beantwortete er 90 Minuten lang kritische Fragen. In der Aids-Frage blieb er jedoch unbeirrt – und dozierte erneut langatmig darüber, ob ein Virus ein Syndrom hervorrufen kann. „Poppige Parolen“, so beschied er alle Kritiker trotzig, „sind von mir nicht zu erwarten.“