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In Frankreich bleibt die Post Gemeingut

Privatisierung der Post? Nie! Petitionen, Streiks und Aufstände der Franzosen und Französinnen wären die Folge

PARIS taz ■ „Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass Briefe nicht überall das Gleiche kosten.“ Ein solcher Satz aus Ministermund würde in Frankreich einen Skandal auslösen. Denn gleicher Zugang für alle Citoyens zu den öffentlichen Dienstleistungen ist eines jener Prinzipien, die der Republik heilig sind. Sein Name – Egalité – steckt seit 1789 in Köpfen und Kultur der Franzosen.

In Deutschland hingegen kann Bundeswirtschaftsminister Werner Müller seelenruhig die kommende Inégalité der Bundesbürger vor der Post ankündigen. So erklärte er am 3. April, dass die Aufhebung des Postmonopols selbstverständlich dazu führt, dass ein Brief mit gleichem Gewicht auf dem Lande mehr Porto kosten wird als in der Stadt: Niemand protestiert.

In Frankreich schreiben die Leute Petitionen für die Verteidigung des Postmonopols, demonstrieren und streiken sogar. „La Poste“ ist beliebt. Sie ist besonders in den kleineren der über 35.000 Gemeinden des Landes die wichtigste Nabelschnur zur Welt. Und das in jahrelangen Auseinandersetzungen erkämpfte Lohn-, Arbeits- und Rentenniveau bei „La Poste“ wird auch von jenen gerechtfertigt, die zu viel schlechteren Bedingungen in der „freien Wirtschaft“ arbeiten: Sie wissen, dass es auch für sie als niveauhebendes Korrektiv funktioniert.

Wo immer „La Poste“ versucht, ein Landbüro zu schließen, gibt es Aufstände. Die anderswo so erfolgreiche Gehirnwäsche, wonach öffentlicher Dienst gleichbedeutend sei mit „verstaubt und ineffizient“, konnte sich in Frankreich nicht durchsetzen. Als der konservative Premier Juppé den Fehler machte, gegen die „mauvaise graisse“ – den Speck – der Beamten zu hetzen, gingen Hunderttausende auf die Straße. Und als ein sozialistischer Erziehungsminister versuchte, Sozialneid gegen die Lehrer zu schüren, war die Reaktion identisch.

Deswegen sind die Politiker vorsichtig geworden. 1995 sorgte ein konservativer Pariser Postminister gegen den Willen seines christdemokratischen Kollegen in Bonn für die Verschiebung der auf totale Liberalisierung ausgerichteten europäischen Postrichtlinie. Fünf Jahre später stehen sich jetzt ein französischer und ein deutscher Sozialdemokrat entlang derselben Linie feindlich gegenüber.

Doch die Frage „Wie viel Privatisierung verträgt der Briefverkehr?“ polarisiert nicht nur Franzosen und Deutsche. Ein tiefer Nord-Süd-Graben zieht sich quer durch die EU. Während Deutschland, die Niederlande, Schweden und Finnland bei der Liberalisierung ihrer Postmärkte teilweise sogar die USA überholt haben, verteidigen die Südländer von Griechenland über Italien, Spanien und Portugal bis nach Frankreich ihre Monopole.

An einen Börsengang ist in Frankreich überhaupt nicht zu denken. Zwar bereitet sich auch „La Poste“ auf die Konkurrenzkämpfe vor und schmiedet „strategische Allianzen“. Aber sie wagt das nur jenseits der französischen Grenzen – mit den US-Konzernen „Fedex“ und „Broker’s“ beispielsweise.

„Postaktien“, erklärt eine Hausfrau, die am Stand einer Postgewerkschaft für den Erhalt des Monopols unterschreibt, „das ist mehrfacher Betrug am Cityoen. Erst haben wir mit unseren Steuergeldern das dichte Netz von ‚La Poste‘ aufgebaut. Dann sollen wir unser eigenes Eigentum erneut kaufen. Und am Ende werden wir von irgendwelchen großen Gruppen, die international fusionieren, als Kleinaktionäre über den Tisch gezogen.“ DOROTHEA HAHN

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