Flensburg muss nicht mehr auf die Couch

■ Handewitt bezwingt THW Kiel in Handball-Bundesliga mit 30:29 und ist fassungslos vor Glück

Am Ende schien es fast, als hätten sie die Meisterschaft errungen: Das obligatorische Rumhoppeln vor den Fans, die unvermeidliche La-Ola-Welle und Mannschaftskapitän Jan Fegter knuddelte und liebkoste jeden, der ihm über den Weg lief. Dabei hatte die SG Flensburg-Handewitt am Sonnabend nur ein simples Heimspiel gegen den THW Kiel mit 30:29 (13:15) gewonnen. Das allerdings durch ein Tor von Christian Berge in letzter Sekunde und ausgerechnet gegen den Intimfeind aus der Landeshauptstadt. „So eine Partie am Ende noch umzubiegen, das ist Wahnsinn. Das muss man feiern wie eine Meisterschaft“, frohlockte der pitschnass geschwitzte Fegter nach schadlos überstandener Schmuseorgie. Die Extase verwundert kaum, hatte der Branchenkrösus aus Kiel doch den vermeintlichen Underdogs von der dänischen Grenze in der Vergangenheit so manchen Titel in letzter Sekunde vor der Nase weggeschnappt und in Flensburg schon einen Kiel-Komplex hervorgerufen.

Zunächst jedoch schienen die Dinge ihren gewohnten Lauf zu nehmen. Kiel agierte clever im Angriff und stand kompakt in der Abwehr. Vor allem Mike Bezdicek, den der THW noch am Freitag von GWD Minden an die Kieler Förde transferierte, stabilisierte die Defensive des amtierenden Meisters. Bereits in der 22. Minute hatten sich die „Zebras“ einen komfortablen 12:8-Vorsprung erarbeitet. „In der ersten Hälfte gelang es uns nicht den THW unter Druck zu setzen. Unsere Spieler standen zu weit von der gegnerischen Deckung entfernt“, räumte SG-Coach Erik Veje Rasmussen später ein.

Für die Wende sorgten nach der Halbzeit der Flensburgs Zweittorhüter Sören Haagen mit guten Paraden und Thomas Knorr, der immerhin fünf Tore aus dem Rückraum warf. Auch in der Defensive gingen die Flensburger fortan offensiver zu Werke. Ein Vorgehen, das den Kielern offenbar kaum schmeckte: „Gegen diese aggressive Deckung fehlte meinen alten Männern am Ende die Luft“ grummelte THW-Trainer-Griesgram Zvonimir Serdarusic.

Die logische Folge: In der 40. Minute ging Flensburg beim 20:19 erstmals in Führung, baute seinen Vorsprung vorübergehend auf drei Tore aus, um in den letzten Sekunden doch noch in Bedrängnis zu geraten, als Kiels Nicolaj Jacobsen 16 Sekunden vor Schluss per Siebenmeter den 29:29-Ausgleich warf. „Da war es wichtig, dass wir endlich einmal in den Schlusssekunden kühlen Kopf bewahrt haben“, resümierte Jan Fegter nach Partieende.

Für Flensburg offenbar ein ungewohntes Gefühl. „Der Glücklichere hat gewonnen“, seufzte ein sichtlich erleichterter Erik Veje Rasmussen. „Ich bin froh, dass wir das waren.“ Bei aller Euphorie geriet fast in Vergessenheit, dass das Nord-Derby nicht mehr die Spitzenpartie der Vergangenheit war. Machten die beiden Klubs in den abgelaufenen Spielzeiten den Titel vornehmlich unter sich aus, stehen in dieser Saison mit dem SC Magdeburg und der SG Wallau-Massenheim zwei andere Vereine ganz oben.

Vor allem THW ist nach der Niederlage in Flensburg mit nunmehr 12:6 Punkten schon ein gutes Stück von der Tabellenspitze entfernt. Für Manager Uwe Schwenker dennoch kein Grund zum Verdruss: „Niemand sollte uns jetzt schon abschreiben. Wir können noch alles erreichen.“ Vielleicht langt es am Ende doch wieder zu einer echten Meisterschaftsfeier – in Kiel.

Matthias Anbuhl