ärztestreik
: Medizin nach Klassen

Streik ist ein legitimes Mittel im Arbeitskampf. Mehr noch: Streik ist ein Recht, den Unternehmern Forderungen vorzutragen und ein gewisses Maß an Druck auf sie auszuüben. Wie aber ist das bei Ärzten, die formal ihr eigener Chef sind?

Kommentarvon DIRK HEMPEL

Ärzte führen keinen Arbeitskampf, also haben sie auch kein Streikrecht. Sie sind verpflichtet, die medizinische Grundversorgung zu garantieren. Denn außer ihnen gibt es niemanden, der dies anbietet. Andererseits kann niemand einem Arzt verbieten, in den Urlaub zu fahren, solange sich eine Vertretung um die Patienten kümmert. Also kann er auch seine Praxis für eine Woche schließen – wenn der Notfalldienst der Kassenärztlichen Vereinigung sicherstellt, dass dadurch niemand ohne medizinische Unterstützung bleibt.

Angenehm ist es natürlich nicht, wenn fast alle Facharztpraxen eine Woche lang dichtbleiben. Aber das Hauptproblem ist nicht diese eine Woche: Die Ärzte der Stadt beklagen sinkende Einnahmen, verursacht durch den Wettbewerb der Krankenkassen und der ungleichen Pauschalbeträge. Für weniger Geld gibt es auch weniger Leistung, sagen die Ärzte. So droht jenen Versicherten, die in eine Betriebskrankenkasse gewechselt sind, um Beiträge zu sparen, nun die Degradierung zum drittklassigen Patienten.

„Sagen Sie mir, in welcher Krankenkasse Sie sind, und ich sage Ihnen, wann ich einen Termin für Sie frei habe.“ Bei Zahnärzten oder Psychotherapeuten beispielsweise ist das längst die Regel: Ohne Privatversicherung muss man lange warten. Medizinische Versorgung abhängig von der Finanzstärke – das ist das Hauptproblem des Gesundheitssystems. Ärzte im Ostteil der Stadt oder in sozial schwächeren Bezirken wie Kreuzberg und Neukölln, wo es kaum gut zahlende Privatpatienten gibt, erleben das jeden Tag. Manche spielen bereits mit Umzugsgedanken. Die Grundversorgung gäbe es dann nur noch nach Fahrt in die wohlhabenderen Bezirke. Auch ohne Streik.