Hamburg geht am Stock

Die Hockey-Bundesliga mutet an wie eine Stadtmeisterschaft. Auch in dieser Saison dominierten wieder Hamburger Teams auf dem Kunstrasen, Meister wurde gestern der Harvestehuder THC

von OLIVER LÜCK

Wie viele Länderspiele er für sein Heimatland bestritten hat, kann Wladimir Antakow nur vermuten. „Bestimmt 270, vielleicht sogar mehr“, schätzt der 43-jährige Russe. Erinnerungen an diesen Teil seines Lebens schlummern irgendwo im Gedächtnis. Nach dem politischen Umbruch in der Sowjetunion trat Antakow wie so viele russische Spitzensportler 1991 die Flucht in den Westen an. Bis dato Hockey-Soldat beim russischen Armee-Sportclub in Jekaterinenburg, ordnete er von nun an als Vorstopper die Defensive des ältesten Hockey-Clubs Deutschlands, des Bundesligisten Uhlenhorster HC von 1901.

Seit zwei Jahren ist Antakow auf der Clubanlage des UHC zudem hauptberuflich als Platzwart angestellt, sorgt für professionelle Bedingungen auf einem Naturrasenspielfeld und zwei Kunstrasenplätzen sowie in der bald beginnenden Wintersaison in der clubeigenen Hockeyhalle. Dass er nun schon fast ein Jahrzehnt in der Hansestadt lebt, sei jedoch kein Zufall gewesen, sagt Antakow. Erste Kontakte zum UHC hätten bereits 1980 bestanden, als die sowjetische Nationalmannschaft im Rahmen eines Vier-Länder-Turnieres in Hamburg gastierte. „Außerdem“, erzählt er weiter, „galt die Stadt schon immer als eine der besten Hockey-Adressen in Deutschland.“

Diese Meinung hat sich inzwischen weit verbreitet. In keiner anderen deutschen Stadt gibt es mehr Krummstöckler. Derzeit laufen rund 7.500 von ihnen gebückt am Stock durch die Hansestadt – Tendenz steigend. Insbesondere im Nordosten der Stadt, im dezent noblen Wellingsbüttel, ist das mit dem Klischee des Feine-Leute-Sports behaftete Hockey so stark vertreten wie nirgendwo sonst.

Etwa drei Kilometer von der Klubanlage des UHC entfernt, übt die derzeit beste Herren-Hockey-Elf Europas auf einem riesigen Trainingsgelände. In diesem Jahr feierte „Der Club an der Alster“ mit dem Gewinn des Europapokals der Landesmeister den größten Triumph der Vereinsgeschichte. In unmittelbarer Nachbarschaft residiert auf einer der vornehmsten Anlagen des Landes der Klipper THC Hamburg, dessen Damen vor einer Woche erst im Halbfinale der Meisterschaft gestoppt wurden. Der Großflottbeker THGC und der Harvestehuder THC bereichern die Frauen-Bundesliga um zwei weitere hanseatische Clubs.

Die Stadt hat allerdings noch andere Hockey-Koryphäen zu bieten. Christian „Büdi“ Blunck, ehemaliger Kapitän des deutschen Nationalteams, versorgt aus „Büdi’s Hockey Pool“ seit rund zehn Jahren die Hamburger Hockey-Familie. „In keiner anderen Stadt würde so ein Laden so gut laufen“, glaubt er. Mit seinem Sportartikelgeschäft hat sich der Olympiasieger von Barcelona längst ein zweites Standbein geschaffen. Dem will er sich künftig ganz widmen. Das gestrige Meisterschaftsfinale in Mainz, das sein Harvestehuder THC gegen den Club an der Alster mit 5:4 nach Siebenmeterschießen (4:4 n.V.) gewann, soll sein letztes Match gewesen sein. „Einige werden sagen: Endlich haut das Großmaul ab, andere werden mich, so wie ich sie, vermissen“, kommentiert der streitbare Hockeyspieler seinen Abschied.

Vor einiger Zeit galt der HTHC noch als finanzkräftigster deutscher Verein, musste im letzten Jahr jedoch finanzielle Rückschläge einstecken. Durch die Zinslast großer Bauprojekte wie Kunstrasen, Tennis- oder Hockeyhalle geriet der Meister von 1998 in arge Schwierigkeiten. Die teure Bundesligamannschaft wurde daher finanziell unabhängig gemacht und eine Marketing GmbH gegründet, die die Konkurrenzfähigkeit auch weiterhin gewährleisten soll. Darüber hinaus fällige Summen deckten freigiebige Vereinsmitglieder.

Das Sportliche, so Coach Peter Krüger, stimme aber nach wie vor. Im Europacup der Pokalsieger erreichte die Elf vor kurzem Rang drei. Geht es um die inoffizielle Stadtmeisterschaft – sprich: nationale Meisterehren –, ist der HTHC der größte Rivale des Club an der Alster, der im Mainzer Halbfinale Wladimir Antakow und seinem Uhlenhorster HC mit 4:2 das Nachsehen gegeben hatte. Im vergangenen Jahr musste Christian Bluncks Team dem Konkurrenten Meisterschaft und Pokal überlassen musste, umso süßer schmeckte dem Harvestehuder THC gestern die gelungene Revanche.