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: Im Bremer Weserstadion triumphiert der pure Masochismus

Wo bist du, Uli?

Man könnte krank werden an der Bundesliga. Nicht allein wegen Fußball – neinnein, vor allem dann, wenn das allsamstägliche Ritual der Psychohygiene gestört wird. Samstag war so ein Tag, ach was, DER Tag! Der Tag des fußballmassenpsychologischen Super-GAU. Wir gingen unseres Uli verlustig!

Also: Dass es beim Fußball eher untergeordnet um Fußball geht, sondern zuvörderst um Enthemmung, wissen wir. Wo kann man ungestraft völlig aus sich rausgehen? Wo kann man schmähen und beleidigen, lautstark die Pest an den Hals und die Krätze in den Schritt wünschen, wo, kurzum, kann man wohltuend für die Seelenhygiene die innere Sau rauslassen? Na? Na bitte! Im Stadion!

Dumm nur, dass es zur Enthemmung ein geeignetes Hassobjekt braucht. Zwar bietet sich dafür so mancher fußwerklich eher minder begnadete Kicker an, doch werden die Zornestiraden aus der Kurve allzu oft gebremst. Weil man erfahren hat, dass der so Geschmähte doch eigentlich ein ganz netter Kerl ist. Oder ein Kretin und von daher nicht wirklich satisfaktionsfähig. Kann man so einem wirklich alle Aggression entgegenschleudern? Ohne Gewissensbisse? Eigentlich nicht! Und schon ist der therapeutische Effekt futsch.

Aber dafür gibt’s ja Uli. Das heißt: Gab’s. Bis Samstag. Uli Hoeneß, das rundum sorglose Hassobjekt. Ein Typ, den man von morgens bis abends verachten, fies und ekelig finden, schmähen, beleidigen, beschimpfen undsoweiter undsofort kann – ohne auch nur den Hauch eines Zweifels oder gar eines schlechten Gewissens. All das, und das ist die furchtbare Erkenntnis des Spieltags: Aus, vorbei, perdu.

Es war nämlich so: Als Uli Hoeneß ins Weserstadion kam, als sein Gesicht über die Anzeigetafeln flimmerte, da hatte mal wieder die Stunde der Massentherapie geschlagen. Da erhob sich der gemeine Hassgesang der Werder-Fans. Tadellos – doch nicht lange. Denn Hoeneß lief nicht etwa einfach so in der Bayern-Herde ein, sondern schlenderte weitab vom anonymisierenden Getümmel über den Platz, quasi auf dem Präsentierteller, eine Fleisch gewordene Provokation. Und was wirklich schrecklich war: Er genoss! Genoss unseren Geifer! Die Wut! Den Hass! Die Verachtung! Schlürfte all das, badete, aalte sich in Aggression. Tatsächlich: Der Mann liebt das, verdammte Scheiße! Wahrscheinlich wird er mit der Nummer bald bei Lilo Wanders landen.

Aber wer will noch reinen Gewissens die Sau rauslassen, wenn sie DEM schmeckt?

Ist das nicht schrecklich?

Da muss man doch krank werden.

Uli, wo bist du?

JOCHEN GRABLER