Multikulti’ye güle güle*

Grüne besteigen das Boot zur deutschen Einigkeit: Renate Künast verabschiedet den Begriff der multikulturellen Gesellschaft. CDU und SPD wollen in der Einwanderungspolitik zueinander finden

BERLIN taz ■ Noch immer geistert das Gespenst der „deutschen Leitkultur“ durch die politische Debatte. Noch immer ist die Aufregung im linksliberalen Lager groß. Auch gestern übten Politiker von SPD, Grünen, FDP und PDS heftige Kritik an dem von Friedrich Merz (CDU) geprägten Begriff. Doch bei aller Empörung über das Merz’sche „Unwort“ (Ausländerbeauftragte Marieluise Beck) bewegen sich Rechte und Linke, Regierung und Opposition inhaltlich aufeinander zu.

So sieht Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU) in der Zuwanderungspolitik eine „Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen“. Auch SPD-Generalsekretär Franz Müntefering sagte, er gebe die Hoffnung auf gemeinsam mit der CDU gestaltete Regelungen nicht auf. Schon 2001 könne es ein Einwanderungsgesetz geben. Das wäre „eine prima Sache für alle“, findet auch Münteferings neues CDU-Pendant Laurenz Meyer.

Die Grünen trugen gestern ihren Teil zum Wandel durch Annäherung bei. Einen Tag nachdem CDU-Chefin Angela Merkel festgestellt hatte, „die Linken“ seien mit ihrer Idee einer multikulturellen Gesellschaft „gescheitert“, verabschiedete sich auch Grünen-Chefin Renate Künast von dem einst gehegten Begriff. „Multikulti“ sei ebenso „unscharf“ wie „deutsche Leitkultur“. Deshalb werde er von den Grünen nicht mehr verwendet. Als Ersatz bot Künast eine neue „Leitlinie“ für die Integrationspolitik an: den „Verfassungspatriotismus“.

Der Begriff der multikulturellen Gesellschaft „greift zu kurz“, sagte Künast, „weil er sich nicht auseinander setzt mit der Frage: Nach welchen Regeln leben wir?“ Es müsse Grundregeln des Zusammenlebens geben. Zur Integration gehörten auf alle Fälle die Beherrschung der deutschen Sprache, demokratische Prinzipien und die Gleichstellung von Mann und Frau.

Damit unterschied sich Künast kaum von der Definition der „für alle verbindlichen Werte und Gesetze“, die CDU-Generalsekretär Meyer gestern anbot. Dazu gehöre: die Gleichstellung von Männern und Frauen. Künast dazu: „Wir sehen mit Freude, dass sich die CDU nach Jahrzehnten dieser Frage widmet.“

Die PDS widmet sich unterdessen intensiv der Frage nach dem Umgang mit der Nation. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke bezeichnete die Äußerungen der Vorsitzenden Gabi Zimmer („Ich liebe Deutschland“) gestern als „Deutschtümelei“.

LUKAS WALLRAFF

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