Königsmacher Nader

Bei den US-Präsidentenwahlen wird es in einigen Staaten, wie Kalifornien, eng. Dort könnten Stimmen für den Grünen Nader Bush zum Sieg verhelfen

aus Washington PETER TAUTFEST

„Nach der Wahl am 7. November werden wir unsere Kontaktlisten durchgehen und die größte dritte Partei in der Geschichte Amerikas bilden“, kündigte Ralph Nader am Montag an. „Unser Emblem werden der grüne Hammer und der grüne Magnet werden.“ Mit dem Hammer wollen, so Nader, die amerikanischen Grünen weiter auf die beiden traditionellen Parteien und die sie unterstützenden Konzerne einschlagen, und der grüne Magnet steht für die Alternative zur Demokratischen Partei: „Nie wieder wird die Demokratische Partei Arbeiter und Gewerkschaftler, Umweltschützer und Studenten mit dem Argument ignorieren können, die hätten ohnehin keine politische Heimat.“

Zurzeit schenken die Demokraten den Grünen und ihrem Kandidaten sehr viel Aufmerksamkeit. Hieß es im August noch, bis spätestens Oktober würden die Grünen keine Rolle mehr spielen, so sind sie in der letzten entscheidenden Wahlkampfwoche im Begriff, Prügelknabe und Sündenbock der Demokraten zu werden. Ralph Nader, der als Amerikas wirkungsvollster Sozialkritiker und als Sozialanwalt der Öffentlichkeit bezeichnet worden ist, ist dabei, als grüner Präsidentschaftskandidat für die Niederlage Al Gores verantwortlich gemacht zu werden.

Der Kandidat, der im Wahlkampf ein Prozent der Summe ausgab, die Gore zur Verfügung stand, gerät in den Verdacht, Königsmacher zu werden. Naders Grüne organisierten die größten Kundgebungen im Rahmen des Wahlkampfs – 10.000 bis 15.000 Teilnehmer kamen und zahlten 7 Dollar, um Nader zu hören. In Staaten des pazifischen Nordwestens kommt er auf 5 Prozent, in Oregon auf 10 Prozent, in einzelnen Wohnbezirken wie in der Stadt Eugene sogar auf 20 Prozent der Stimmen.

Beim knappen Vorsprung, den Gore in den Staaten des pazifischen Nordwestens und einigen Staaten des Mittleren Westens hat, können diese Stimmen den Ausschlag für Bush geben. In Kalifornien könnten die Grünen sogar Gores schrumpfenden Vorsprung umkehren, womit die 54 Wahlmänner für Bush stimmen und ihm landesweit zum Sieg verhelfen würden.

In den USA werden staatenweise Wahlmänner gewählt, die den Präsidenten wählen; ohne den bevölkerungsreichsten Staat Kalifornien kann Gore nicht siegen. Die Demokraten haben in den letzten Wochen Leute wie den Gewerkschaftschef John Sweeney mit der Message ins Gefecht geschickt: „Eine Stimme für Nader ist eine für Bush.“

Gingen Demoskopen bisher davon aus, dass die Anhänger Naders ihre Wahlentscheidung überdenken würden, so glaubt der renommierte Meinungsforscher James Zogby eher, dass der umgekehrte Fall eintreten wird. „Gore hat sich das selber zuzuschreiben“, sagt Nader, „wenn All Gore nach 24 Jahren in der Politik, nach drei Fernsehdebatten, nach der Ausgabe von Millionenbeträgen einen stolpernden Tölpel wie Bush nicht besiegen kann, dann liegt die Schuld doch bei ihm. Gore sollte aus dem Rennen scheiden, nicht ich.“

„Wäre jemand wie Clinton im Rennen, würde er mit dem Kadaver Bushs den Boden aufwischen“, schreibt Robert W. McChesney in der Madison Capital Times unter dem Titel: „Wird Gore Bush den Wahlsieg zuschanzen?“ Nader führt gerne eine Umfrage von MSNBC an, wonach 40 Prozent seiner Wähler Demokraten, 20 Prozent Republikaner und weitere 40 Prozent Neuwähler, Nichtwähler und Unabhängige sind.

Naders Herausforderung beschäftigt nicht nur demokratische Wahlkampfstrategen, sondern auch potenzielle Gore-Wähler: „Wählt mit dem Herzen, wo ihr könnt, und mit dem Kopf, wo ihr müsst“, rät Molly Ivins, Kolumnistin aus Texas. Soll heißen, wer in einem Staat wohnt, dessen Stimmen – und Wahlmänner – mehrheitlich an Bush gehen, der kann getrost Nader wählen. Wer aber in einem sog. „Battleground State“ oder „Swing State“ wohnt, wo jede Stimme entscheiden kann, an wen die Wahlmänner gehen, der soll mit dem Kopf wählen und für Gore stimmen.

Im Internet gibt es Börsen, wo Wähler in „sicheren Staaten“ Stimmabgabe für Nader anbieten, wenn dafür jemand in einem unsicheren Staat für Gore stimmt. „Ich halte nichts von derartiger Kommerzialisierung der Stimmabgabe“, sagt Nader. „Umwälzungen beginnen mit der festen Überzeugung von wenigen, die immer mehr werden.“ Wenn Nader mindestens 5 Prozent der Stimmen bekommt, stehen ihm 5 Millionen staatliche Wahlkampfgelder zu. „2004 werden wir ganz anders dastehen“, sagt er. Nader wird dann 70 sein.