Vor der Wahrheitskommission

■ Long Night's Journey Into Day: Ein Dokumentarfilm über Südafrika heute

Mit dem Film Long Night's Journey Into Day zeigt das 3001 diese Woche die bisher einzige Dokumentation über die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission – zumindest die einzige, die hierzulande die Kinos erreicht. An vier Fällen beleuchtet der Film exemplarisch Gelingen und Scheitern dieses „nationalen Projekts“, wie es Erzbischof Desmond Tutu, der Vorsitzende der Kommission nennt.

Die Truth & Reconciliation Commission (TRC) wurde 1995 von der neuen Regierung unter Nelson Mandela eingerichtet. Das Versprechen von Straffreiheit sollte Täter aller Lager dazu bringen, zu einer möglichst umfassenden Aufklärung der Verbrechen der Apartheidsära beizutragen. Voraussetzung für eine Amnestie war der politische Charakter der begangenen Taten. Was dabei als politisch zu gelten hat, ist in der südafrikanischen Öffentlichkeit selbstverständlich bis heute umkämpft.

Wer dagegen bis zum Mai des Jahres 1997 kein Amnestiegesuch eingereicht hatte, musste damit rechnen, vor Gericht gestellt zu werden. Wie groß dabei die Sicherheit vieler weißer Südafrikaner ist, aus Mangel an Beweisen nicht verurteilt werden zu können, lässt sich daran ermessen, dass 80 % der insgesamt 7000 Amnestiegesuche von Schwarzen stammen, obwohl ein Großteil der Apartheidsverbrechen von Weißen begangen wurde. „Ich bin schwarz und muss meinen schwarzen Brüdern und Schwestern in die Augen schauen, das ist der Unterschied“, wie ein ehemaliger Agent der Todesschwadronen in dem Film erklärt. Im Gegensatz zu seinen beteiligten weißen Kollegen hat er das Schweigen gebrochen. 1986 hatte er sieben Jugendliche in einem Township bei Kapstadt zunächst mit Waffen ausgestattet, um sie dann in eine tödliche Falle zu locken, bekannt geworden ist der Fall als der der „Gugulato 7“.

Die Dokumentation der US-Amerikanerinnen Frances Reid und Deborah Hoffmann montiert Interviews, historische Foto- und Filmaufnahmen, Anhörungen vor der Kommission und Szenen der Begegnung zwischen Tätern und Angehörigen der Opfer mit spärlichen Kommentaren zu einem Porträt des heutigen Südafrika. Durch eine paritätische Berücksichtigung von Fällen – bei zweien handelt es sich um weiße Opfer, bei zwei weiteren um schwarze – versuchen die beiden mindestens, das Ungleichgewicht der Repräsentation vor der TRC ein Stück weit auszugleichen. Und auch, wenn es auf die Entscheidung der Kommission keinen Einfluss hat: Für die dokumentierten Fälle ist nicht einmal die Hälfte der Angehörigen bereit, den Mördern oder Attentätern zu verzeihen. Bezeichnenderweise – auch darin erweist sich die Parteilichkeit der Regisseurinnen – sind die einzigen Weißen, die den Tätern vergeben, keine Buren. Die Eltern der 1993 ermordeten kalifornischen Studentin und Antiapartheidsaktivistin Amy Biehl, so geben diese vor der Kommission zu Protokoll, nehmen die Ereignisse zum Anlass, im Sinne ihrer Tochter zu reagieren: sich die Situation der schwarzen Jugendlichen in den Township vor Augen zu führen und deren Hass auf Weiße auf ihre Lebensumständen und die Bedingungen der Apartheid zurückzuführen.

Bis zum Ende der Aufnahmen in Südafrika in diesem Jahr war von den dokumentierten einzig der Fall Amy Biehl vor der TRC entschieden worden, zugunsten derjenigen, die um Amnestie ersucht hatten. Für die anderen wie für hunderte von weiteren Fällen steht eine Entscheidung noch aus.

Christiane Müller-Lobeck

Do, Fr + So – Mi, 18 Uhr, 3001