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pampuchs tagebuchNur fernsehen ist noch schöner als Latein lernen am Computer

Wir alle wissen, dass sich die Elektronik krakengleich und unerbittlich in immer mehr Lebensbereiche des Menschen drängt. Dass aber auch die beschaulichen Stunden zwischen Eltern und Kind, die mit dem Abfragen lateinischer Vokabeln zugebracht werden, von der neuen Technologie bedroht sein könnten, wurde mir erst klar, als sich mein 13-jähriger Patensohn Alexander eine Lateinlern-CD-ROM mit dem Namen Memodux kaufte.

 Stolze 128 Mark kostete der Spaß, Xandi hatte aber nur 120 Mark dabei – immerhin, wie ich fand. Offenbar war er mit der Preisgestaltung der Hersteller elektronischer Lernhilfen vertrauter als ich. Aber bevor ich die fehlenden acht Mark nachzahlte, fragte ich ihn sicherheitshalber noch, warum er denn nicht ganz normal mit dem Buch und der Mama lerne. „Könnte ich, aber das ödet. Mit der CD ist es lustiger.“

 Bei was Lustigem bin ich natürlich gern dabei, und als ich anderntags dem ersten interaktiven, multimedialen Wortschatztraining Latein beiwohnte, schallte mir schon auf dem Korridor eine sonore Männerstimme entgegen: „Epistula – ploing!, arteficium – ploing!“

 Auf dem Bildschirm sah man – bei der Abteilung „Arena: Schnellabfrage“ – die vertraute Anordnung, die wir von „Wer wird Millionär?“ kennen: Oben war das lateinische Wort zu lesen (und von besagter Männerstimme zu hören), und darunter standen, auf vier Fußabdrücken im altrömischen Sand vier mögliche Übersetzungen. Eine von ihnen hatte Xandi anzuklicken hatte, um dann mit einem „Ploing! „ für die richtige Antwort belohnt, oder einem „Brrrb!“ für die falsche bestraft zu werden.

 Xandi erwies sich als blitzschneller Klicker, und bald erschien die Meldung: „Gratuliere, du hast es in die Top Ten geschafft!“ „Hey, super!“ rief Xandi und dann tauchte eine Liste auf: „Cäsar: 100 %, Brutus: 99,6 %, Cleopatra: 99,3 %“ und so weiter – mittendrin stand in leuchtendem Rot: „Schleimscheißer: 97,6 %“.

 Ich traute meinen Augen nicht. „Schreiben die solche Wörter?“ – „Nee, so hab ich mich genannt“, grinste Xandi. Entsprechend tippte er danach bei „Schola – Einprägen und Testen“ auch jeweils „Kaka“, wenn er ein Wort nicht wusste. „Brrrb!“ Alles in allem fand er Memodux aber „ziemlich geil“.

 Zwei Tage später, einen Tag vor der Latein-Schulaufgabe, verlief die multimediale Interaktion allerdings schon eher gereizt. Xandi hieß jetzt „Fischkopf“ und testete sich bei Schola. „Calamitas“, sagte die Stimme und dann: „Brrrb!“

 „He, was soll’n das, ich hab's doch gewusst!“ Und wieder ein Brrrb! „Bloß weil ich's nicht groß geschrieben habe. Das ist so fies! Das letzte Mal hab ich das Fragezeichen vergessen, da hat er's gleich als Fehler gerechnet, der Blödi!“ – „29 % Fehler! Übe in der Schola. Drucke dir zusätzlich deine Memo-Cards aus und übe die Vokabeln!“, schrieb der Computer streng. „Ja, schon gut!“, maulte Xandi. Und dann erklärte er entschlossen: „Ich mach jetzt nur noch ,Einprägen‘! Bei ,Testen‘ muss ich immer erst die Memobox bearbeiten, und das will ich nicht, ich will ja weiter voranschreiten.“

 Und er schritt voran. Als er sich kurze Zeit später in der Arena schnellabfragte, konnte er jede Vokabel. Fischkopf war Sieger mit 100 % in 1,91 Sekunden. „Ich bin Cäsar!“, jubelte Xandi. Da kam seine Mutter herein und erinnerte ihn daran, dass er noch Mathehausaufgaben zu machen hatte. „Nein, ich mach nicht Mathe, ich will mich heute intensiv um Latein kümmern!“, sagte Xandi.

 Ich war beeindruckt. Der Junge wusste offenbar, Prioritäten zu setzen. Er wusste es wirklich. Denn kaum zwei Minuten später beendete er überraschend das Programm. „Jetzt kommen die Simpsons im Fernsehen. Also erst mal Pause!“ Tja, nicht nur die Römer (Romani) oder die dank Memodux so wunderbar entlasteten Eltern (parentes), auch die Knaben (pueri) streben danach, glücklich zu sein. (Omni beati esse student.)EVA PAMPUCH

epamazi@t-online.de

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