Gift leckt ungebremst

Zwar lautet der Befund für Proben aus der Umgebung der havarierten Chemietankers „negativ“. Doch schwere See behindert Bergungsarbeiten

PARIS taz ■ „Negativ“ – lautete die positivste Nachricht des gestrigen Tages in Frankreich. Sie stammte aus einem Labor. Es hatte Wasserproben aus der Umgebung des am Dienstag mit 6.000 Tonnen hochgiftigen Stoffen vor dem Kap La Hague gesunkenen Chemietankers „Ievoli Sun“ untersucht. In der Luft über der Unglücksstelle freilich waren bereits am Dienstag mehrfach aus undichten Stellen im Schiffsrumpf ausgetretene stinkende Styrol-Wolken gemessen worden. Angesichts der schlechten Wetterverhältnisse mit hohem Wellengang waren gestern keine neuen Luftproben vor Ort möglich. Aus demselben Grund musste die genauere Überprüfung der Position und Außenhaut des gesunkenen Schiffes durch Unterseeroboter verschoben werden.

Unterdessen leiteten die Umweltorganisation Greenpeace und die französische Marine eine beispiellose Zusammenarbeit bei der Untersuchung des Wracks ein. Greenpeace-Sprecher Yannick Rousselet sagte, das Umweltministerium in Paris habe bereits sein Einverständnis für die geplante Zusammenarbeit mit der Marine gegeben. Das britische Marineschiff „Mermaid“ wurde an der Unglücksstelle erwartet, um das Gefahrengebiet mit Warnsignalen kenntlich zu machen.

Italiens Europa-Minister Gianni Mattioli gestand inzwischen ein, dass seine Regierung bei den rechtlichen Regelungen für den Seeverkehr hinterherhinke. Die Verantwortung Italiens könne nicht bestritten werden, sagte Mattioli. Die italienische Klassifikationsgesellschaft Rina hatte sowohl die „Ievoli Sun“ als auch den Ende 1999 vor der Bretagne gesunkenen Öltanker „Erika“ abgenommen.

Auch Christian Balmes, der Chef der französischen Shell, der die Styrol-Ladung gehört, hatte bereits am Dienstag erklärt, sein Konzern werde sich an den Bergungsarbeiten beteiligen und sie finanzieren. Mit seiner eiligen Betroffenheitserklärung zeigte der Konzernchef von Shell immerhin, dass er nicht die zahlreichen Fauxpas des Chefs von Total wiederholen will. Total-Kollege Thierry Desmarest, dem die ölige Ladung an Bord der „Erika“ gehörte, hatte sich zunächst geweigert, irgendeine Mitverantwortung einzugestehen.

Das Erdölderivat Styrol, auch bekannt als Vinylbenzol, das zur Kunststoffherstellung genutzt wird, machte mit 4.492 Tonnen den größten Teil der Ladung des Schiffes aus. Das krebserregende Mittel ist leichter als Wasser und strömt bei Austritt an die Meeresoberfläche, wo es in stinkenden Wolken verdampft, die auch Explosionen auslösen können.

Trotz der „Negativ“-Meldung aus dem Labor geben weder die Küstenanrainer in der Hafenstadt Cherbourg noch die Naturschützer Entwarnung. Die Vogelschutzliga befürchtet ein Massensterben der Seevögel. Die Küstenbewohner bangen um ihre wichtigsten Einnahmequellen: Fischfang, Muschelzucht und Tourismus. DOROTHEA HAHN