Klick mit Laser

■ Die Firma Igel, einst selbstverwalteter Betrieb, vertreibt Computerhilfen für Behinderte / Homepages trotz Lähmung

„Hightech“ – mit der vielbeschworenen Supertechnik kann Holger Neumann gar nicht so viel anfangen. Dabei verkauft er sie. Doch der Trend, elektronische Geräte immer filigraner und komplexer zu gestalten, geht ein wenig an dem Arbeitsfeld des Elektrotechnikers vorbei. Im Arbeitszimmer der Igel GmbH für Elektronische Kommunikationshilfen liegen vielmehr Maustasten, so groß wie Pfannekuchen. Tastaturen aus robustem Holz mit extra großen Buchstaben. Oder Knopfpaletten, die nichts weiter tun, als einen Satz wiederzugeben.

Neumanns Firma ist eine von ungefähr zehn in Deutschland, die sich auf Technik für Behinderte spezialisiert haben. Das Problem: Normalerweise lernt der Mensch, sich auf die Technik einzustellen. Bei behinderten Menschen muss die Technik sich auf die Situation des Benutzers einstellen. Das hat Neumann schon vor 15 Jahren gelernt. Seitdem entwickelt, vertreibt und baut er technische Hilfsgeräte für Behinderte. „Hightech“ – das bedeutet bei Behinderten vor allem höchste Funktionalität.

Zum Beispiel „Lucy“. „Lucy“ kostet so um die 10.000 Mark und dürfte damit eine der teuersten Tastaturen überhaupt sein. Doch selbst Querschnittsgelähmte können damit ihre eigenen Internet-Seiten bauen. Eine Din-A-4-große, bildschirmähnliche Tafel wird neben dem Computerbildschirm aufgebaut. Mit einem kleinen Laser, der an der Brille montiert wird, können die Buchstabenfelder, Sonderzeichen oder Mauspfeile angeleuchtet werden. Lediglich seinen Kopf muss der Benutzer bewegen können. Der Impuls, ausgelöst durch kurzes Verweilen auf dem entsprechenden Feld, wird direkt in den Computer überspielt. E-Mails, Internet-Surfen oder Programmieren sind so kein Ding der Unmöglichkeit für unmobile Menschen. Mit Übung kann Lucy zum fast vollwertigen Tastaturersatz werden. „Einer unserer Kunden hat uns einen Brief geschrieben, dass er 70 Zeichen in der Minute schafft“, sagt Neumann.

Oder der „Sicare Pilot“. Menschen, die zwar gut sprechen, sich aber nicht bewegen können, können mit dem Handy-ähnlichen Gerät ihr gesamtes Umfeld per Sprache steuern. „Fenster auf“ oder „Fernseher leiser“ in das Mikrophon gesprochen, und der Auftrag wird ausgeführt. Der Verkaufs-Renner ist allerdings der Lightwriter SL 35 für Menschen, die nicht mehr sprechen können: Auf einer Tastatur wird ein Text eingetippt, der dann über einen kleinen Lautsprecher in Sprache umgesetzt wird.

Weil es mit dem Verkauf der Geräte nicht getan ist, treten die Igel-Mitarbeiter auch als Berater bei Hausbesuchen auf, prüfen die räumlichen und physiologischen Bedingungen. Um etwa den Sicare Pilot zum Türöffnen einzusetzen, müssen auch bauliche Veränderungen organisiert werden. Und nicht jeder, der eine Hilfe in Anspruch nehmen will, kann das auch. Allerdings: „98 Prozent der Nachfrager können wir geben, was sie wollen“.

Der Markt für Behindertentechnik ist noch klein. Rund 450 Geräte verkauft Igel im Jahr. Doch mit der Computer-Durchdringung der Gesellschaft wächst auch die Zahl der Menschen, die zwar eine alters- oder unfallbedingte Behinderung, aber dafür keine Hemmschwelle gegenüber Computern mehr haben.

Noch lehnen Hersteller oft die Produktion der Behinderten-Geräte ab – bei einer Stückzahl unter 10.000 lohnt die Massenproduktion meist nicht. Den noch geringen Absatz der Geräte führt Neumann auch darauf zurück, dass die Produkte noch nicht bekannt genug sind. Pfleger und Ärzte, die wichtigsten Ratgeber der Behinderten, sind meist eher technische Laien und wissen wenig über die Möglichkeiten, die es gibt. Deshalb läd Neumann alle Interessierten einmal im Monat zur Besichtigung der Technik in die Büroräume am Hastedter Osterdeich 222 ein. Und geht in Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern und Privatwohnungen Klinken putzen.

Dazu kommt: Erst seit 1996 ist Kommunikation für Behinderte höchstrichterlich als ein Grundbedürfnis definiert worden. Das hat sich noch nicht einmal bis hin zu allen Krankenkassen herumgesprochen, die seitdem in der Regel die Kosten für die Apparate übernehmen müssen.

Seitdem steht die Firma auf soliden Füßen. Auf neun Mitarbeiter ist das Team aus Behindertenpädagogen, Technikern und Vertriebsprofis inzwischen angewachsen, „aber wir hatte auch viele dürre Jahre“, erzählt Neumann. 1986 gründete sich Igel als selbstverwalteter Betrieb. „Es gab kein Ingenierkollektiv in Bremen. Da haben wir uns gesagt: Dann machen wir das halt. Aus Überzeugung.“ 1994 gab man den Kollektiv-Gedanken auf. Neumann firmiert jetzt als „managing director“, doch von der kollegialen Umgangsweise, hofft er, sei dennoch einiges übrig geblieben. „Wer selbstverwaltet arbeitete, wollte die klassischen Hierarchien nicht. Aber die kann man auch abschaffen, ohne dem Selbstverwaltungsgedanken auf ewig treu zu sein.“

Christoph Dowe

Internet: www.igel.rehavista.de