Die alternative Attraktion

Beweis: Ein verbessertes Angebot erhöht die Nachfrage. Im Umland von Freiburg und Offenburg werden S-Bahn-Systeme aufgebaut – mit großem Erfolg. Einer der morgendlichen Züge von Breisach nach Freiburg ist auch mit fünf Waggons voll belegt

von BERNWARD JANZING

Verkehrsplaner müssen umdenken: Jahrzehntelang war die S-Bahn das Symbol der Großstadt – und plötzlich ist das Klischee überholt. Zwei Projekte in Südbaden machen deutlich, dass die S-Bahn auch im ländlichen Raum erfolgreich verkehren kann. Voraussetzung ist allerdings: Die Bahn muss attraktive Wagen und einen vernünftigen Takt anbieten – was progressive Verkehrsexperten seit Jahren fordern.

Freiburg und Offenburg machen es vor. Im Freiburger Umland wird seit Juni 1997 die Breisgau-S-Bahn (BSB) schrittweise aufgebaut, in der Region um Offenburg startete im Mai 1998 die Ortenau-S-Bahn (OSB). Und beide Projekte verzeichneten schon kurz nach dem Start große Erfolge – der öffentliche Nahverkehr wurde plötzlich auch in dünn besiedelten Gebieten zu einer attraktiven Alternative zum Auto.

Und das, obwohl die lokalen Bedingungen erschwert waren: In beiden Regionen sind die Nebenstrecken unzureichend elektrifiziert. Man musste also – auch das ist ein Novum für S-Bahnen – auf Dieseltriebwagen zurückgreifen.

Es war keine Frage, dass es moderne Waggons sein mussten. Die Triebwagen vom Typ „Regio-Shuttle“ der Firma Adtranz sind klimatisiert, bieten einen bequemen Einstieg und ein modernes Ambiente. „IC-Qualität“ nennen Bahnmanager die Ausstattung – vorbei ist die Zeit, als der Nahverkehr ein Schmuddelimage trug. Auch der Fahrbetrieb konnte gegenüber den bisherigen Nahverkehrszügen erheblich verbessert werden. Denn die leistungsstarken Fahrzeuge beschleunigen zügig und machen damit neue Haltepunkte nahezu ohne Fahrzeitverlängerung möglich.

Die Kunden wissen den Fortschritt zu schätzen. Seit im Juni 1997 auf der 23 Kilometer langen Strecke Freiburg–Breisach die alten Bahn-Silberlinge durch den Regio-Shuttle ersetzt wurden, und im Frühjahr 1998 der Stundentakt eingeführt wurde, kommen von der BSB regelmäßig neue Erfolgsmeldungen. 77.000 Fahrgäste im Monat wurden hier vor der Übernahme durch die BSB im Fahrplanjahr 1996/97 gezählt, 155.000 pro Monat waren es im Sommer 1998. Über eine „spektakuläre Zunahme der Fahrgastzahlen“ freut sich daher die Betreiberfirma, eine Tochtergesellschaft der landeseigenen Südwestdeutschen Verkehrs AG (SWEG).

Manche Züge sind bereits bis an die Grenzen ausgelastet. Einer der morgendlichen Züge von Breisach nach Freiburg ist trotz seiner fünf Waggons voll belegt. „Es ist für uns immer wieder eine Herausforderung, dem Ansturm der Fahrgäste Herr zu werden“, heißt es bei der BSB – wer hätte sich das noch vor zwei Jahren vorstellen können, als Nahverkehr im ländlichen Raum den Ruf hatte, nie wirklich attraktiv sein zu können?

Mit der Verdichtung des Angebotes auf der Strecke Freiburg–Breisach vom Stunden- zum Halbstundentakt ging das Projekt im Herbst 1999 in die nächste Phase. Und auch auf der 28 Kilometer langen Linie Freiburg–Waldkirch–Elztal kommt man bereits nahe an einen Halbstundentakt heran. So kamen im September 1999 in der Region Freiburg 275.000 Zugkilometer jährlicher Fahrleistung zu den bisherigen 574.000 Zugkilometern hinzu. Ab dem Jahr 2002 soll das Angebot um weitere 110.000 Zugkilometer verdichtet werden.

Schrittweise geht es nun weiter – und im Jahr 2005 soll das Gesamtprojekt Breisgau-S-Bahn vollendet sein. Die ganze Region um Freiburg soll dann nicht nur per Zug im Halbstundentakt erschlossen sein, sondern es soll auch der Busverkehr mit der Bahn vertaktet werden. 800 Millionen Mark werden dann (verteilt auf zehn Jahre) investiert sein, wovon das Land Baden-Württemberg 85 Prozent trägt. Den Rest teilen sich die Stadt Freiburg und die Landkreise Breisgau-Hochschwarzwald und Emmendingen.

Die Grundlage des Erfolges im Großraum Freiburg hatte schon 1991 die Einführung der Regio-Karte gelegt. Die Stadt Freiburg und die Landkreise Breisgau und Emmendingen hatten für die ganze Region ein einheitliches Ticket für alle Verkehrsmittel eingeführt, das zu einem unschlagbar attraktiven Preis angeboten wird. So kostet das übertragbare Monatsticket für ein mehr als 2.800 Bahn-, Bus- und Straßenbahnkilometer umfassendes Netz im Jahresabo weniger als 60 Mark monatlich. An Sonn- und Feiertagen kann es sogar von zwei Erwachsenen und beliebig vielen Kindern genutzt werden. Fast 100.000 Regio-Karten werden jeden Monat verkauft, 89 Prozent aller Fahrgäste im Nahverkehr von Freiburg und Umland nutzen sie heute.

Dieser Tarif hatte schon bald der Höllentalbahn von Freiburg über Hinterzarten nach Titisee zu einem deutlichen Anstieg der Fahrgastzahlen verholfen. Bald mussten Halbstundentakt und Doppelstockwagen eingeführt werden, weil der Ansturm anders nicht mehr zu bewältigen war. Inzwischen nutzen sonntags durchschnittlich 7.500 Fahrgäste die Bahn durchs Höllental. Dieser Boom war umso beeindruckender, als noch in den späten Achtzigerjahren die Stilllegung dieser Strecke diskutiert wurde.

So gibt der Erfolg dem offensiven Konzept recht. Von 60 Millionen auf annähernd 100 Millionen stiegen die Fahrgastzahlen im Gebiet des heutigen Regio Verkehrsverbundes Freiburg in den vergangenen zehn Jahren. Jeder Einwohner im Verbundgebiet nutzt den Öffentlichen Nahverkehr jährlich im Durchschnitt 164 Mal. Bei Vollendung der Breisgau-S-Bahn im Jahr 2005 prognostizieren die Planer nochmals enorme Zuwächse: 17.000 Fahrgäste mehr pro Tag zwischen Freiburg und Offenburg, mehr als 13.000 neue Fahrgäste zwischen Freiburg und Basel, fast 9.000 zusätzlich auf der Breisacher Bahn und fast 7.000 neue Passagiere auf der Elztalbahn.

Ein Jahr später als im südbadischen Freiburg startete auch im mittelbadischen Offenburg die S-Bahn. Die Bilanz ist ähnlich: Auf der Strecke Offenburg–Appenweier–Kehl stiegen die Fahrgastzahlen binnen eines Jahres um 40 Prozent. Im Renchtal (Offenburg–Bad Griesbach) konnte ein stetiger Fahrgastrückgang gestoppt und in einen Zuwachs der Fahrgastzahlen von 13 Prozent umgekehrt werden.

Dass leere Nahverkehrszüge ein Naturgesetz seien, behauptet zumindest in Südbaden seither niemand mehr.