Heimatabend unplugged

■ Im vollen Schlachthof boten Stefan Stoppok und Reggie Worthy tollen R&B

Stoppok ist wie Bochum: 'ne ehrliche Haut. Beide, der Musiker und die Stadt, stammen aus dem Ruhrpott, wo die letzten Asphaltcowboys ihr Revier haben und die Haltung dominiert, dass man am Rande des Mainstreams viel schöner draußen zelten kann.

Die Hymne der Stoppok-Fans heißt „Harte Zeiten“. Darin singt Stefan Stoppok „Ich bin schon über dreißig und war nie richtig fleißig“, was aus ungezählten Kehlen im ausverkauften Schlachthof inbrünstig und aus Überzeugung mitgesungen wird. Mit Dumpfbacken, Dünnbrettbohren, Weicheiern und sonstigen Club-Urlaubern will man hier nix zu tun haben. Und auch wenn man inzwischen selbst in die Nähe jener Altersgrenze gerät, wo der Gedanke an Attraktivität gewinnt, das Motorrad im nächsten arschkalten Winter doch lieber in der Garage stehen zu lassen, beharrt man auf den feinen Unterschieden, die würdevolles Reifen von würdelosem Anpassen an die Verhältnisse unterscheidet.

Ein Dutzend Alben pflastern Stoppoks Weg, der konsequent in jene Ecke führt, wo kultige Verehrung und ewiges Außenseitertum sich innig aneinander schmiegen. Gegen jede trendgläubige Marketinglogik veröffentlichte der gebürtige Essener mit derzeitigem Wohnsitz in Bayern Mitte der 90er Jahre ein Instrumental-Solo-Album. Ungeachtet der Tatsache, dass die meisten Kids Plattenspieler inzwischen nur noch aus dem Technikmuseum kennen, folgten in den letzten beiden Jahren zwei Vinylscheiben. Und mit der neuesten CD „Grundvergnügen“ – gewidmet all jenen, „die den Großkonzernen aufs Dach kacken“ – boykottiert der 43-Jährige nun gezielt Plattenläden und Radiostationen und feiert dies stolz als seine erste „wirklich unabhängige Produktion“.

Muss man also zum CD-Erwerb, und wenn man wissen will, was Stoppok gerade treibt, ins Konzert gehen. Zwei Stühle und gleich sieben akustische und halbakustische Gitarren teilten sich die Schlachthofbühne, was auf eine minimalistische Mischung bei maximalem Aufwand schließen ließ. Neben Stoppok nahm sein langjähriger Band-Bassist Reggie Worthy Platz. Und hinter ihnen hockte die Ahnengalerie von Jimi Hendrix über Ry Cooder bis Rio Reiser, denen das Duo mit jedem Ton seine grundvergnügliche Aufwartung machte, ohne je ins Epigonentum zu verfallen. Stoppok ist eigenwillig in jeder Hinsicht, und getragen von seinen markanten Stimmbändern, auf denen sich bei Bedarf problemlos Hartkäse kleinreiben ließe, entfaltete sich binnen Augenblicken jene einnehmende Atmosphäre, die Stoppok-Auftritte zu kautzigen Heimatabenden einer eingeschworenen Fangemeinde machen.

Gelassenheit ist dabei ein Wert, der vor wie auf der Bühne hoch im Kurs steht. „Uhuhu Scheiße am Schuh?“ heißt es da etwa in einem Lied. Na und: „Er kauft sich ein paar Neue / und schon hat er Ruh'.“ Früh eingestimmt auf diese relaxte Geisteshaltung folgt man Stoppoks witzig-bissigen Texten, in denen er gerne mal fünf Bierchen gerade sein lässt und auf Partys früher oder später immer eine aufs Maul gehauen bekommt. Dumm geht man auch nicht nach Hause. Denn man lernt, dass „Learning by burning“ auch mal heißen kann: kleine süße Kids in Flammen aufgehen zu sehen. Für die politisch nicht ganz korrekte Körperertüchtigung wirbt Stoppok außerdem mit dem Refrain „Gewalt ist keine Lösung – wenn man nur drüber redet“. Wenn schließlich die Liebe in Stoppok wütet, bricht ein „Du machst mich mein Herz am klopfen / Du treibst mich im Wahnsinn“ aus ihm hervor.

Ergreifende Zeilen, eingepackt in mächtig groovende Rissm'an'bluhs-Rhythmen, bei denen sich Worthy/Stoppok darüber hinaus noch als ausgezeichnetes Instrumenatalistenduo zu erkennen gab. Dass während des Konzerts immer wieder mal die Tonanlage brummte, die elektronischen Stimmgeräte den Geist aufgaben, mehr als eine Gitarrensaite frühzeitig den Löffel abgab und eine kühle Lüftung direkt über der Bühne hörbar für Verstimmung bei den Instrumenten sorgte, fiel dagegen nicht in Gewicht. Weder Publikum noch Musiker taten es den Instrumenten gleich. Wo Heimatgefühle walten, ist für andere Emotionen kein Platz. Schön war das. Sehr schön.

Franco Zotta