Nazis demonstrieren für Meinungsfreiheit

Einige Tage vor der Großdemo für Toleranz und Menschlichkeit marschierten am Wochenende 1.200 Neonazis fast ungehindert durch die Innenstadt. Nur einige hundert Antifas und PDS-Mitglieder demonstrierten dagegen

Es war die bislang größte Neonazi-Demonstration in der Hauptstadt in diesem Jahr – und die mit den vergleichsweise wenigsten GegendemonstrantInnen. 1.200 Neonazis, vorwiegend aus Nord- und Ostdeutschland, marschierten, geschützt von 1.800 Polizeibeamten, am Samstagmittag vom S-Bahnhof Friedrichstraße zum Alexanderplatz. Nur 500 GegendemonstrantInnen – einige PDSler, Gewerkschafter, Antifas und Autonome – versuchten den Marsch aufzuhalten. VertreterInnen anderer politischer Parteien oder Repräsentanten liberaler gesellschaftlichen Gruppierungen waren nicht zu sehen. 150 weitere DemonstrantInnen hielten nördlich des S-Bahnhofs Friedrichstraße eine Gegenkundgebung ab und liefen von dort zur Synagoge in der Oranienburger Straße.

Der Neonazi-Marsch war von Steffen Hupka angemeldet worden. Hupka war bis März dieses Jahres Vorsitzender der NPD in Sachsen-Anhalt. Derzeit droht ihm ein Parteiausschluss, weil er mit den so genannten Freien Kameradschaften sympathisiert, die für eine massive Präsenz auf der Straße werben. Die NPD will aufgrund eines möglichen Parteiverbots derzeit auf Aufmärsche verzichten.

Für die Kameradschaften – dabei waren unter anderem Mitglieder aus Hamburg,Thüringen und Berlin – war die Demonstration unter dem Motto „Meinungs-und Versammlungsfreiheit statt Verbote“ ein Erfolg, weil sie von der NPD-Verbotsdiskussion profitiert haben. Die Kameradschaften haben es geschafft, genau die Klientel zu mobilisieren, die normalerweise von der NPD erreicht wird. Die Neonazi-Veranstalter selbst hatten nur mit 400 TeilnehmerInnen gerechnet.

Innenstaatssekretärin Mathilde Koller betonte, dass die „Verästelungen der rechten Szene, gerade auch der Kamerdschaften, noch besser analysiert“ werden müssten. Nach ihren Angaben gehören rund 100 Neonazis in Berlin den lose organisierten Zusammenschlüssen an.

Auf Plakten wandten sich die Neonazis, unter ihnen auffällig viele minderjährige männliche Jugendliche, gegen ein Verbot der NPD. „Gegen Faschismus und Intoleranz“, hieß es dort zynisch. Eine Gruppe nannte sich „Skinheads 2000“. Auf ihrem Plakat stand: „Gewaltfrei und Spaß dabei“. Sie skandierten: „Berlin bleibt deutsch“ und „Hier marschiert der nationale Widerstand.“ Der Berliner Neonazi Oliver Schweigert leitete den Ordnungsdienst. 13 Rechtsextreme wurden wegen des Tragens von verfassungsfeindlichen Symbolen festgenommen.

Unter den Linden bildeten rund 500 AntifaschistInnen Ketten, um den Durchmarsch der Rechten zu verhindern. Deswegen wurde die rechte Demonstration um zwei Stunden verzögert. Andere GegendemonstrantInnen versuchten, eine Barrikade in der Nähe der Humboldt-Universität zu bauen. Nach Angaben der Antifaschistischen Aktion ging die Polizei mit „Härte gegen linke AktivistInnnen“ vor. Der Ermittlungsausschuss teilte mit, dass 31 linke Demonstranten festgenommen wurden, von denen sich gestern Mittag noch 12 in Haft befanden.

Am Neptunbrunnen am Alexanderplatz wurde die Neonazi-Demonstration schließlich nach dreieinhalb Studen vorzeitig aufgelöst, weil die Polizei nach eigenen Angaben die Sicherheit nicht mehr gewährleisten konnte. Die Demonstranten wurden von der Polizei zum S-Bahnhof Alexanderplatz geleitet. Dabei kam es auf beiden Seiten wiederholt zu Stein- und Flaschenwürfen. Gegen protestierende AntifaschistInnen ging die Polizei vor, gegen die Flaschenwerfer aus dem Neonazi-Zug nicht.

DIRK HEMPEL, JULIA NAUMANN